Die Garage, in der uns Bontragers Reifenguru Frank Stacy empfängt, grenzt direkt an die Wüste Arizonas: Direkt hinter seinem Büro beginnt ein riesiger Spielplatz für die großen Jungs: Zirka 60 Meilen lang und ungefähr genau so breit. Außer ein paar Kakteen, ein paar Sträuchern und einer Menge Sand und Steinen gibt es auch dort nicht viel. Das braucht es aber auch gar nicht, denn die extremen Bedingungen hier sind genau das richtige für Franks Zwecke.
Aber nicht nur die Landschaft ist etwas ganz Besonderes hier. Als wir uns in Franks Büro umschauen bietet sich uns ein Anblick, der jedem Reifenfanatiker die Tränen in die Augen treiben würde. Die Wände sind vor lauter Pneus in den unterschiedlichsten Größen und Formen kaum noch zu erkennen. Als “Rubberwonderland” würden wir das hier bezeichnen. In diesem Fall kommt Beruf tatsächlich von Berufung.
# Frank Stacy
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Über Frank Stacy
Ich bin Frank Stacy und arbeite für Bontrager in der Reifenentwicklung. Angefangen habe ich allerdings mit der motorisierten Form der Zweiräder und bin viele Jahre professionell Motocross gefahren. 1979 wollte ich meine Karriere beenden, doch dann kam Dunlop auf mich zu und bot mir einen Job als Testfahrer an. Ich sagte zu und konnte so weitere 2 Jahre Rennen fahren. Nach dieser Zeit stellte mich Dunlop als Ingenieur an und flog mich einmal um die ganze Welt. So konnte ich all ihre Ingenieure kennenlernen und die Grundkenntnisse über den Reifenbau erlernen. Insgesamt 15 Jahre habe ich für Dunlop gearbeitet und verdanke ihnen viel von meinem jetzigen Wissen.
1993 habe ich dann bei Specialized angefangen Reifen zu bauen – und damit bei einem der größten Fahrradhersteller der Welt. 17 Jahre lang war ich dort in der Reifenentwicklung tätig, bis ich schließlich bei Bontrager gelandet bin. 2012 durfte ich dort Aaron Gwins Weg zum World Cup-Titel begleiten. Das war eine große Sache für mich. Derzeit arbeite ich an einem neuen Material, das mittlerweile in allen TLR-Reifen von Bontrager eingesetzt wird und diese noch besser abdichten soll.
# Garage mit jeder Menge Spielzeug
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Von der Idee zum Reifen
Der Weg zu einem guten Reifen ist lang und bedarf einer Menge Erfahrung. Bevor wir mit der Entwicklungsarbeit starten können, müssen wir erst mit der Marketingabteilung klären, welche Produkte in Zukunft auf den Markt kommen werden und was ein guter Reifen im jeweiligen Bereich alles können muss. Daraus versuchen wir dann, einen “Best in Class”-Ansatz in Bezug auf Haltbarkeit und Performance zu entwickeln. Dabei ist es wichtig, einen guten Kompromiss aus allen ausschlaggebenden Faktoren (Material, Gummimischung, Karkasse, Stollenform und deren Maßen) zu finden.
# Was aussieht wie eine lose Ansammlung von Polygonen, ist die technische Zeichnung eines Reifenprofils.
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Es gibt keinen Reifen, der perfekt für alle Bedingungen ist. Jeder Reifen hat seine Vor- und Nachteile. Es gibt etliche Computerprogramme die mir dabei helfen, ein gutes Reifenprofil zu erstellen. Ich verfolge allerdings einen anderen Ansatz: Ich will wissen, wie sich der Reifen unter realen Bedingungen verhält.
Es werden Kleinserien für die Test- und Teamfahrer hergestellt. Auf insgesamt 50 Testfahrer aus allen Disziplinen und mit unterschiedlichen Fähigkeitsgraden können wir zurückgreifen. So kann schnell viel Zeit auf den Reifen gefahren werden. An den Testtagen greife ich auf meine ganze Erfahrung und auf das erworbene Know-How aus meiner Motorradzeit zurück. Ich muss meinen Fahrern oft sagen, dass es nicht darum geht wer der Schnellste ist, sondern darum, seine Linie zu fahren und dementsprechend Feedback geben zu können – jeder von seinem Standpunkt und seinem Können ausgehend.
Wir organisieren Reifen der Konkurrenz, um sie gegen unsere antreten zu lassen. Bei den Tests ist es wichtig, möglichst viele Variablen zu eliminieren. Das Bike wird nicht gewechselt, das Setup nicht verändert und sogar die Testfahrer wiegen alle ungefähr gleich viel und können somit den gleichen Luftdruck fahren. Nur so können sich die Fahrer und wir voll und ganz auf die Verbesserung des Reifens konzentrieren. Für den Test von Schlammreifen fahren wir und unsere Fahrer bis nach Europa. In der Schweiz und vor allem in UK haben wir dafür die besten Bedingungen.
# Wie gut Matsch aus dem Profil “fließt”, wird über die Stollenposition beeinflusst.
# “Backyard-Playground”
Nach der Testphase schaue ich mir den Reifen und dessen Verschleiß an. Die Fahrer berichten mir von ihren Eindrücken: Wo hatte der Reifen Grip, wie viele Platten hatten sie, wie hat er sich gefahren? Kurz: alles, was ihnen daran aufgefallen ist. Auf der Grundlage dieses Feedbacks fangen wir an, das endgültige Design für zusammenzustellen. Wir fertigen einige 3D-Modelle des Profils an, denn so können wir genau bestimmen wie sich der Reifen selbst reinigt und ob wir am Profil noch etwas verändern müssen. Manchmal brauch wir 5-6 Anläufe, bis das endgültige Design feststeht.
Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle: Das Reifenprofil, die Form der Stollen, die Maße der Stollen, der Abstand zwischen ihnen, die Abstützung der seitlichen Stollen und die Karkasse.Wenn wir mit dem Design zufrieden sind, geben wir die Angaben über Profil, Gummimischung, Karkasse und Größe zum Hersteller. Dieser macht dann ein erstes Mould und 2-3 Monate später bekommen wir die ersten Reifen.
Ab hier wird es dann spannend. Wir gehen wieder raus und testen die Reifen. Den Pannenschutz und den Rollwiderstand können wir allerdings nicht auf der Strecke bestimmen. In diesen Kategorien müssen sich die Reifen auf dem hauseigenen Prüfstand beweisen. Da kommen manchmal auch Werte heraus, mit denen wir nicht gerechnet haben und die uns nicht besonders gefallen. Aber so ist das nunmal und wir haben wieder etwas dazu gelernt. Das Beste ist natürlich, wenn man das fertige Produkt in den Händen hält und sich die harte und lange Arbeit gelohnt hat.
# 3D-Drucke der Bontrager-Reifen. Hierüber bekommt man einen besseren Eindruck des entwickelten Profils.
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Wie wird ein Reifen hergestellt?
Ist ein Reifendesign gefunden und wir sind glücklich mit der Performance und der Haltbarkeit des Reifens, wird ein Mould für eine Größe angefertigt (z.B. 26×2,2″). Kommt der Reifen gut an, werden Moulds für die übrigen Laufradgrößen und Reifenbreiten produziert. Ein Reifen besteht aus mehreren Schichten an verschiedenen Stellen. Die einzelnen Schichten werden von Hand auf eine große Trommel gewickelt. Die so genannten “Centerlights” zeigen dem Hersteller auf der Lauffläche an, wo die einzelnen Lagen zu positionieren sind.
# Schematisch führt uns Frank den Fertigungsprozess vor.
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Ist der Rohling fertig, wird ihm durch Vulkanisation seine endgültige Form verliehen. Dabei wird der Rohling mit Hilfe von Druck und Hitze von innen in das entsprechende Mould gepresst. Kann man bei einem Autoreifen nur einen Reifen gleichzeitig fertigen, so sind es beim Fahrrad bis zu sieben Stück möglich, was die Produktivität enorm steigert.
# Die verschmolzenen Lagen.
# Rechts vorher – Links nachher
Franks Meinung
Breitere Reifen = Besser?
Ich damit nur teilweise einverstanden. Natürlich sorgt eine breitere Felge dafür, das der Reifen weniger leicht “abknickt”, zudem werden die Seitenwände werden stabilisiert und das Profil hat eine größere Kontaktfläche zum Boden. Bei Schlamm- und Matschreifen schwimmt ein breiter Reifen aber nur auf der Oberfläche und kann dabei keinen Grip aufbauen. Ein schmaler Reifen hingegen kann sich tief in den Boden graben, um dort Grip zu generieren. Gleichzeit bietet ein schmaler Reifen dem Matsch weniger Angriffsfläche, wodurch er nicht so schwer werden kann.
Könnte die Oberfläche eines Reifen so behandelt werden, dass kein Dreck daran kleben bleibt (Lotuseffekt)?
Das ist theoretisch machbar, allerdings sind diese Materialien sehr hitzeempfindlich und würden beim Vulkanisieren zerstört werden. Man müsste sie also nachträglich auftragen und natürlich nur zwischen den Stollen. Und das würde enorm teuer werden.
# Frank Stacy
Der Beitrag Wie entsteht ein Fahrradreifen? Zu Gast bei Reifenentwickler Frank Stacy ist auf MTB-News.de erschienen.