Kurz nach der Eurobike haben wir uns die Zeit genommen, um die drei wesentlichen Trends der Messe zu identifizieren und in kurzen Artikeln jeweils vorzustellen. Da wäre einerseits der nach wie vor anhaltende Trend hin zum Enduro, der sich mit verschiedensten Bikes, Teilen und Rennen immer breiter aufstellt. Andererseits wären da die noch etwas jüngeren Trends hin zur Elektrifizierung von Antrieb und Komponenten sowie zu extrem großvolumigen Reifen, den sogenannten Fat Bikes.
In den Kommentaren zu den Beiträgen ist jedoch – wie zu erwarten gewesen ist – direkt der Hinweis darauf gekommen, dass es noch weitere Trends gibt. Die gibt es tatsächlich, doch viel interessanter ist der Vorwurf, dass die Redaktion jeden Trend einfach so hinnimmt, gut heißt und das Marketing unterstützt. Ich persönlich lese diese Beiträge immer mit einem gewissen Schmunzeln und wollte mir deshalb noch mal genauer überlegen, was eigentlich als nächstes kommt. Was wird das nächste große Ding, nach dem wir streben sollen? Was könnte das Buzz-Word der Saison 2015 werden? Und welches könnte es für 2016 sein? Schauen wir einmal nach, was die Glaskugel zu bieten hat.
Trends hier Trends da – alles nur Trallala!?
Das Internet ist dafür bekannt, dass die freie, in der Regel anonyme Meinungsäußerung dazu führt, dass schonungslos kritisiert wird und Themen vorbehaltlos diskutiert werden.
Doch es gibt zwei Gruppen von Lesern, die ich hier Wölfe und Schafe nennen möchte. Theoretisch gibt es auch noch Wölfe im Schafspelz und Schafe im Wolfspelz, doch die kann nur unterscheiden, wer sie im realen Leben kennt. Doch das tut auch nichts zur Sache. Schließlich geht es um Trends!
Bei vielen neuen Produkten wird vom konservativen, leicht reaktionären Leser gerne in die Richtung kommentiert, dass es sich um eine reine Marketing-Innovation ohne substantiellen Mehrwert handelt. Es gehe um Verkäufe und Gewinnmaximierung. Und während die Schreiber dieser Beiträge sich häufig für kleine Revoluzzer zu halten scheinen (= der Wolf), liegen sie doch vollkommen richtig. Welches Unternehmen entwickelt und produziert Fahrräder, ohne sie verkaufen zu wollen? Welcher Hersteller mit gesundem Menschenverstand will sich nicht von der Konkurrenz abheben und so einen Unterschied machen, der am Ende dazu führt, dass sein Produkt gekauft wird und nicht das eines Mitbewerbers?

Phasen der Trendsetzung am Beispiel 650b
Einführung
Wie die Geschichte mit den Trends laufen kann, hat sich sehr eindrücklich am Beispiel 650b gezeigt. Wer einmal beide Laufradgrößen nebeneinander stehen sehen hat, der weiß, dass der Unterschied zu 26“ minimal ist und die neu eingeführte alte Reifengröße nicht, wie von der Bezeichnung 27,5“ her anzunehmen, in der Mitte zwischen den etablierten Maßen 26“ und 29“ liegt, sondern wesentlich näher an 26“ als an 29″. 559, 584 und 622 mm sind hier die drei Zahlen, die Aufschluss über die wahren Größenverhältnisse geben. Und dennoch sollen wir dank der neuen Laufradgröße neue Reifen und Felgen, neue Federgabeln und Rahmen und damit neue Fahrräder brauchen? Das klingt auf den ersten Blick wenig überzeugend. Dennoch hat sich 650b am Markt durchgesetzt und das nicht etwa, weil Redaktionen wie die unsere das Thema voller Begeisterung aufgenommen haben.

Wer sich ein wenig tiefer mit der Thematik beschäftigt hat und auch die Gelegenheit hatte, abseits der großen Präsentationen mit den Entwicklern zu sprechen, der merkt, dass 650b am Anfang tatsächlich vor allem Marketing gewesen ist. Entsprechend der Reaktionen hier auf der Plattform hätte man dann auch erwarten dürfen, dass sich die neue Laufradgröße am Markt nicht durchsetzen wird. Denn letzten Endes entscheidet ja doch noch der Kunde selbst, was er kaufen will.
Nachdem die europäischen Hersteller die Einführung der 29“ Laufräder erfolgreich verschlafen hatten und sich unwissende Ressentiments lange gegen das neue Maß gehalten hatten (gefühlt lustigerweise insbesondere von denjenigen, die am meisten von den größeren Rädern profitieren können…) schienen gerade die Europäer bereit, die neue Zwischengröße aufzunehmen. Und während es für die Hersteller von Reifen und Felgen relativ einfach gewesen ist, sich an das neue Format anzupassen, haben die Hersteller von Federgabeln und Rahmen zwei grundlegende Optionen gehabt, um auf den Trend zu reagieren: Stillschweigend anpassen und mit beiden Größen kompatibel sein oder aber mit der großen Glocke die Neuerung verkünden. Denn verschlafen wollte niemand mehr, wenn sich die Mountainbike-Industrie hin zu neuen Zielen bewegt.

Durchsetzung
Für welchen der Wege man sich auch immer entschieden hat – das Ergebnis ist nach gut zwei Jahren der Umstellung eindeutig: 26“ wird kaum noch neu entwickelt und während auch auf Jahre hin noch Produkte verfügbar sein werden, werden es doch nicht die Top-Modelle sein, sondern eher preisorientierte Produkte. Vor einem guten Jahr hingegen hatte es noch so ausgesehen, als ob 26“, 27,5“ und 29“ in friedlicher Koexistenz zusammenleben können würden. Je nach Federweg schienen sich die verschiedenen Laufräder anzubieten – doch das war 2013.
2014 sind auch die Downhiller umgestiegen und gleichzeitig liest man im Forum immer seltener, dass Produkt XY nicht gekauft werden wird, weil es auf 650b-Laufrädern steht. Sind die Keller voller plötzlich überflüssiger Ersatzteile alle im Bikemarkt verkauft oder kaputt gefahren worden? Oder haben sie nur im Kopf existiert? Im Gespräch vor der Eurobike lässt ein Mitarbeiter von DT Swiss wissen, dass man lange an 26“ habe festhalten wollen, doch mittlerweile einfach keine Nachfrage mehr da sei. Komplett neue Modellreihen werden daher nur noch in 650b und 29“ angeboten – basierend auf der Marktnachfrage und nicht auf den Präferenzen dieses leitenden Mitarbeiters, wie zwischen den Zeilen klar wird.



Selbst diejenigen, die sich von Anfang an konsequent gegen die neue Laufradgröße gewehrt und viel Zeit darauf verwendet haben zu argumentieren, warum es sie nicht braucht – wir reden hier von niemand anderem als Specialized – sind mittlerweile eingeknickt. So hat auch der Marktführer aus den USA für die 2015er Modellpalette auf 650b umgesattelt und streicht 26“ weitestgehend aus dem Highend-Programm. Im Forum ist dieser Schritt gemischt aufgenommen worden und nicht wenige haben direkt erkannt, dass es sich hier um eine Aufgabe und Anpassung an den Trend handelt. Was sie jedoch vergessen, ist, dass es der Endkunde gewesen sein könnte, der Specialized zu diesem Schritt bewegt hat. Niemand mag es, sich erst weit aus dem Fenster zu lehnen und dann mit einem Klatsch auf der Straße der Realität aufzuschlagen. Doch die Kunden scheinen 650b ins Herz geschlossen zu haben. Ob dieser Wechsel in der Nachfrage auf die Vorteile der größeren Laufräder zurückzuführen ist? Das wage ich an dieser Stelle zu bezweifeln, denn auch wenn die 650b-Laufräder Spaß machen und sich auf dem Trail besser fahren als manches ältere 26“-Produkt, ist der Beweis an sich für oder gegen eine der beiden Größen in wissenschaftlicher Hinsicht nur schwer zu führen.
Realitäts-Check: Besser, schlechter, gar nicht wirklich anders?
Für diesen Test haben wir mittlerweile genügend Zeit gehabt und sogar ausführlich mit drei Hardtails der Firma 2SoulsCycles Vergleichsfahrten angestellt. Ein größeres Laufrad läuft stabiler geradeaus, ist aber weicher. Gleichzeitig ist es schwerer, wodurch zusätzlich zur Größe der Effekt der Selbstzentrierung durch die rotierende Masse stärker wird. Könnte sich also ein schwereres 26“-Laufrad am Ende genau so fahren wie ein leichteres 27,5“ Laufrad? Doch wie spielt in diese Rechnung die größere Reifenaufstandsfläche hinein? Und welchen Unterschied – sofern es ihn überhaupt gibt – gibt es zwischen zwei gleich großen und gleich schweren 26“- und 27,5“-Laufrädern? Macht es einen Unterschied, ob die Masse im Reifen oder in der Felge steckt? Wenn es hier eine Antwort gibt, können wir sie direkt verwenden, um den Trend hin zu großvolumigen Reifen abzuschätzen, denn hier müsste sich dann gegebenenfalls direkt ein echter Vor- oder Nachteil identifizieren lassen. Und selbst wenn es diese Antwort gibt, kann sie auf dem Trail spürbar sein oder bleibt sie ein mathematisch-physikalisches Theoriegebilde?
Enduro, Elektro und Fat Bikes – the next big thing?
Bei meiner Trendanalyse zum Thema Enduro bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Enduro letzten Endes nichts anderes ist als das, was die meisten von uns auf ihren Bikes ohnehin fahren. Daher ist die Entwicklung spezieller Produkte für diesen Einsatzbereich nur zu begrüßen (ungeachtet dessen, wie laut das Marketing sie zu kommunizieren versucht und wie einem dieser Hype zuwider sein mag). Bei der Elektrifizierung sieht es schon anders aus. Für mich persönlich ist das Mountainbike ein Sportgerät, dass dadurch überzeugt, dass es zu jeder Zeit einsatzbereit ist und außer Öl, Luft und genügend Drehmoment an allen Schrauben nichts weiter benötigt. Sobald elektrische Helferlein für den Antrieb, die Schaltung oder die Federung mit an Bord kommen, ändert sich dieses Bild. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, jeden Tag mein Smartphone aufzuladen. Ich bin jedoch nicht gewillt, jeden Tag mein Fahrrad aufzuladen und auf einer langen Tour plötzlich stark eingeschränkt zu sein, weil meinem Fahrrad der Saft ausgegangen ist. Ich kann es akzeptieren, dass mir der Saft ausgeht. Das ist auch Sinn des Sports. Doch dass das Sportgerät temporär versagt? Für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Die Voraussetzung für diesen Trend ist also, dass die Akkus lang genug halten oder das Bauteil selbst den benötigten Strom erzeugt. Hiervon sind wir gegenwärtig beim Antrieb noch ein gutes Stück entfernt, während Schaltung und Federung es leichter haben, ihren Bedarf an Spannung zu stillen.







Unsere Kritiker würden hier folglich ein klares Signal gegen die Elektrifizierung erwarten. Gegen Neuerungen, die nicht alles nur besser machen. Doch wo würde es dann hingehen? Wenn es ein elektrisches Bauteil gibt, das ich montieren kann, ohne in irgendeiner Weise davon eingeschränkt zu werden – was kann ich dann dagegen aussetzen, wenn es auch beim Preis, der Qualität und nicht zuletzt der Funktion gleichwertig oder besser ist? Ja, das Mountainbike überzeugt mich gerade deshalb, weil es vergleichsweise einfach und robust ist (beziehungsweise sein kann ;) ). Doch darf ich ein elektrisches Bauteil an diesem System ablehnen, nur weil es elektrisch ist? Wer es nicht will, soll es bleiben lassen und nicht kaufen – diese Freiheit besteht und es sieht aktuell nicht so aus, als ob es für 2015 nur noch elektrische Komponenten geben würde. Ganz im Gegenteil.

Ähnlich verhält es sich mit Fat Bikes, die mich bisher zumindest abseits von Schnee und Sand keineswegs überzeugen konnten. Doch diese Bikes sind witzig zu fahren und vielleicht sind die meisten von uns einfach auch nicht die richtige Zielgruppe für diese Art von Produkt. Hier nähern wir uns einer möglichen Erklärung, warum so viele hier so vehement gegen neue Trends sind und sie am Ende doch fahren: Wer neu zu einer Sportart kommt, wird sie in den seltensten Fällen als Trend wahrnehmen. Alteingesessene Mountainbiker würden behaupten, dass in den 90er Jahren Mountainbiken Trend gewesen ist. Ich würde behaupten, dass in den letzten Jahren Mountainbiken Trend geworden ist – habe ich selbst doch schon vor über zehn Jahren damit angefangen. Wenn ich mich heute als vermeintlich „alter Hase“ so umschaue, erkenne ich viele Dinge wie zum Beispiel Fat Bikes und E-Bikes, die mir nicht wirklich taugen und die ich auch nie gebraucht habe, um Spaß mit dem Mountainbike zu haben. Doch sie werden in Massen angeboten und das bedeutet grob gesagt, dass sie auch in Massen verkauft werden. Und plötzlich liege ich mit meinem Sport nicht mehr vor dem Trend oder mitten im Trend, sondern hechle ihm nach. Das könnten mir doch einige launische und abwertende Beiträge im Internet wert sein…

The real next big thing…
Wer hat ernsthaft gehofft zu erfahren, was das nächste große Ding wird? Meiner Einschätzung nach werden es Trail-Bikes. Optional mit oder ohne Elektromotor, aber auf jeden Fall mit potenten Reifen um 2,5″ Breite. Der Grund: Mit den modernen Enduros fährt man heute das, was früher Downhill gewesen ist. Ausgehend von der Annahme, dass die meisten von uns Enduro fahren, wenn sie ihr Bike auf den Hometrails bewegen, brauchen wir also neue kurzhubige Bikes, die für diesen Einsatzzweck ausgelegt sind. Es verschiebt sich alles ein wenig, so wie die Größen in der Mode. Das Schöne ist aber doch, dass es ein Luxusproblem ist, sich über den Trend aufzuregen. Schließlich wird es in einer so zergliederten Industrie wie der Fahrradindustrie wohl immer so sein, dass jedes Töpfchen sein Deckelchen findet. Und jeder Biker sein Traum-Bike. Diesen Trend wünsche ich mir zumindest, denn es ist ein großartiges Hobby.

Weitere Informationen
Text & Redaktion: Tobias Stahl
Trendanalyse Enduro
Trendanalyse Elektrifizierung
Trendanalyse Fat Bikes
Der Beitrag MTB-Trends 2015: Enduro, Elektro, Fat Bike – was kommt als Nächstes? ist auf MTB-News.de erschienen.