
Herzlich willkommen zu dieser neuen Serie über Rahmenbauer. Der erste Besuch führte uns im Januar nach Leipzig, ich hatte hier vor vier Jahren erstmals von einem Stahlrahmenbauer gehört, der, so erinnere ich mich, auch vollgefederte Stahlmountainbikes baut. Wir haben schließlich einen Termin vor Ort vereinbart und sind schließlich im Süden Leipzig aufgeschlagen, um selbst einen Eindruck der Rahmenschmiede zu bekommen.

In Leipzig biege ich in die Einfahrt eines alten Gutshofes ein, der renoviert wird. Vor einem großen Scheunentor treffe ich Sören.
MTB-News: Hallo Sören, schön dich einmal persönlich zu treffen. Zudem einen herzlichen Dank, dass du MTB-News heute etwas von deiner Arbeit zeigen und uns von dir erzählen wirst.
Sören: Hallo IBC, ich möchte mich erstmal vorstellen: Ich bin Sören Marx und der Kopf hinter Unique Handmade Bicycles aus Leipzig. Es freut mich, dass ihr den Weg zu meiner Werkstatt gefunden habt und ich euch etwas über mich, meine Arbeit und den Rahmenbau erzählen darf.

Wir betreten die Werkstatt, die in einem Nebengebäude des Hofes gelegen ist, die Räume teilt sich Sören mit Georg Schein, der Holzschutzbleche fertigt. Ich sehe mich etwas um.



Sören, deine Werkstatt beheimatet einige außergewöhnliche Räder, aber beginnen wir bei dir: seit wann beschäftigst du dich mit Fahrrädern?
Ich mache, gefühlt, zeitlebens irgendwas mit Fahrrädern, seit dem Teenie-Alter, meine Cousins und Brüder sind Rennrad gefahren. Da fing ich dann auch an. Für DDR-Zeiten war es eigentlich sehr spät, so mit 14-15, die meisten haben so mit acht oder neun Jahren angefangen oder noch eher. Und bevor ich den Faden verliere: ich habe, während ich Radrennen gefahren bin, schon selbst immer begeistert am Rad rumgeschraubt, oder angefangen selbst einzuspeichen und Dinge am Rad zu ändern. Und irgendwann merkt man dann doch (lacht), dass man mehr Talent zum Schrauben als zum Radrennen gewinnen hat. Dann bin ich, auf Umwegen, Zweiradmechaniker geworden.
Was meinst du mit Umwegen, du hast also nicht als Zweiradmechaniker gelernt?
Nein. Aus Umwegen deshalb, weil mir der Meister, damals in einem privaten Radladen, gesagt hat, ich solle erstmal was in Richtung Metall lernen und dann wiederkommen. So habe ich eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur (MAM) absolviert, das war so ein Allerweltsberuf, in dem Falle mit der Spezialisierung Rohrleitungsbau. Da haben wir in der Ausbildung anderthalb Meter Gasleitungen geschweißt, daher habe ich die ersten WIG-Schweiß Erfahrungen.

Wie ging es dann weiter nach der Ausbildung? Das hat ja einige Zeit gedauert – war der Wunsch, Zweiradmechaniker zu werden, immer noch präsent?
Das kam alles so zur Wendezeit, der Meister im Radladen hat dann sein Wort gehalten trotz der unsicheren Zeiten und so habe ich als Zweiradmechaniker angefangen. Das war Anfang der Neunziger, und da bin ich dann mit dem Mountainbiken in Berührung gekommen und Richtung Downhill „abgerutscht“. Das war die wilde Zeit, als noch viel kaputt ging. Da haben auch viele Rahmen gelitten.
Hast du dich dann bereits an Reparaturen gemacht, die Grundlagen hattest du ja?
Ja, da habe ich angefangen Rahmen als Fully umzubauen, habe die zusammengeschweißt, manche repariert, das waren so die Anfänge.
Und wie ging es weiter?
Ich habe neben der Arbeit im Laden viel ausprobiert, Rahmen konzipiert, geschweißt und Erfahrungen gesammelt. Zu Beginn war Hans Kochlik ab und an im Laden, er hat mir dann das professionelle Einspeichen beigebracht und bei meinem ersten Rahmen die Anlötteile angebracht. 2001 habe ich schließlich meinen Zweiradmeister in Meiningen gemacht.
Für ein Jahre bin ich dann einer Liebe folgend nach Paris gezogen, habe dort für Rando-Cycles gearbeitet. Francois Coponet war dort der Rahmenbauer. Die Rahmen hat er zuhause gebaut, im Laden wurden sie weiter verarbeitet, ich hab die Anlötteile angebracht und die Gepäckträger gebaut. In Paris ist dort auch mein erster auftragsgelöteter Rahmen entstanden. Daher habe ich viel meiner Hartlöterfahrung. Die Liebe schwand irgendwann und so ging es schließlich wieder zurück nach Leipzig.


Das sind immernoch 10 Jahre bis heute, wann hast du dann angefangen ambitionierter zu bauen?
[lacht] Da verging noch einige Zeit. Nach meiner Rückkehr hab ich beim BDO angefangen. Nach den Erfahrungen aus Frankreich habe ich mir ein neues Schweißgerät geholt. Ich wollte noch mehr ausprobieren und mit besserer Technik anfangen. Lötequipment kam dann schließlich auch dazu. Ich habe dann angefangen selbst weiter zu experimentieren, erste eigene Räder zu bauen und auch Kinematiken zu testen, um möglichst antriebsneutrale und wartungsarme Eingelenker zu entwickeln.
Seit 2011 bin ich nun im Nebenerwerb selbständig, um mehr Zeit für den Rahmenbau zu haben.


Möchtest du das weiter im Nebenwerb machen?
Ich würde es auch hauptberuflich machen, wenn es sich lohnt. Ich möchte aber auch an dem aktuellen Geschehen im BDO dranbleiben. Man wird bestimmt nicht reich durch handwerklichen Rahmenbau, aber man kann seine Energie in etwas eigenes investieren.
Wir haben jetzt viel über deinen Werdegang gehört, ich bin jetzt sehr neugierig auf deine Arbeit geworden. Was baust du denn nun hauptsächlich?
[lacht] Was ein bisschen mein Steckenpferd ist, sind vollgefederte Räder aus Stahl, oder: ich baue mir heute die Räder, die ich mir früher nicht leisten konnte.



Was sind das für vollgefederte Räder, die du da baust?
Ich baue schon größtenteils Eingelenker in 29“. Das ist relativ simpel zu berechnen und die Progression der Federelementen kann man auch ausrechnen, es gibt aber auch ein Berechnungstool dafür [Linkage: http://www.bikechecker.com, Anm. d. Red.]. Das Programm kann dann verschiedene Diagramme darstellen, die Frage ist nur immer, was man da rausliest und was im Praxistest rauskommt. Das Probieren bleibt also nicht aus. Große Firmen handhaben das genauso, da kann viel entwickelt werden, am Ende muss sich jemand draufsetzen und sagen: „Passt so, passt so nicht.“
So gehe ich da auch mit Erfahrung ran, aber meist sollte es vorher schon passen, ein großes Budget habe ich nicht zur Verfügung, um viele Prototypen zu schaffen und zu testen. Hinzu kommt, dass der Rahmen immernoch halbwegs gut aussehen soll [lacht]. Das ist natürlich auch sehr subjektiv, was die Optik angeht, ich mag es eher schlicht und geradlinig, nicht so viel Firlefanz.




Du hast dann ein Grundmodell an Kinematik?
Ja, so kann man das sagen, ich habe zwei Grundtypen, den Hinterbau mit kurzem Federweg, das sind so um die 90mm und das Modell mit 120-125mm Federweg, deren Kinematik ist bekannt und der Rahmen kann dann an die entsprechenden Kundenwünsche angepasst werden. Das Grundgerüst, wie der Dämpfer angelenkt wird, das steht alles schon.



Wir haben jetzt hauptsächlich über vollgefederte Mountainbikes gesprochen. Was für Radtypen baust du den noch, baust du auch andere Räder?
Ich habe auch schon Crosser gebaut, einige, auch Rennräder, hauptsächlich baue ich aber Mountainbikes. Da sind es dann eher Hardtails. Fürs “einfach durch den Wald fahren”, ich würde es Allmountain Hardtail nennen, ein Rad für Alles eben.
Ich höre mir die Kundenwünsche an, ohne groß in Kategorien zu denken. Viele Kunden möchten ein Rad, das vielseitig ist, sich angenehm fährt und den eigenen Wünschen entspricht. Da kommt dann auch immer der Moment, wenn man dem Kunden sagt, dass es eben ein Stahlrahmen ist, und man wegen dem Gewicht gucken muss, häufig höre ich dann die Antwort: „Ach, Gewicht ist nicht ganz so wichtig.“ Es geht dann weniger darum, ob der Rahmen jetzt 2500 Gramm wiegt oder 2800 Gramm. Meine Fullsuspension-Rahmen zum Beispiel wiegen, wenn sie leicht sind, um die 2,8 Kilo, meist aber um die 3 Kilo ohne Dämpfer.







Wir wissen schon, dass du Mountainbikes im mittleren Federwegsbereich baust, wie siehts mit mehr Federweg aus?
Ich hab ein Enduro mit Federweg um die 160mm gebaut, der mir optisch gut gefallen hat, aber die Kinematik hat nicht so optimal gepasst. Da bin ich noch am Entwickeln. Außerdem gibt es 3 Downhillrahmen mit virtuellem Drehpunkt, die sind aber noch von 2001 rum, mittlerweile hat sich aber dann viel an den Geometrien verändert. Die Räder hatten noch 24“ Hinterräder, war damals ‘in’. Zwei hab ich auf 26“ umgebaut, für mein eigenes hatte ich dann aber keine Zeit mehr.
Kannst du dir vorstellen, dass in diesen Federwegsbereichen 150 mm – 200 mm wieder Räder kommen könnten?
Auf jeden Fall, dieses Thema reizt mich, und wenn es da wieder Nachfragen gibt, würde ich gern ein paar neue Konzepte umsetzen. Eins mit aktueller Geometrie hab ich schon gezeichnet.
Mir sind wenig Rahmenbauer bekannt, die sich an vollgefederte Mountainbikes wagen, warst du zu Beginn skeptisch?
Nein, eigentlich nicht. Ich fand Wiesmann immer einen der besten Rahmenbauer, auch wenn er das vielleicht nicht hören möchte. Ich hab einmal lange mit ihm telefoniert und hätte fast dort angefangen, das wurde dann aber leider nichts. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten, seine Arbeit war für mich eine gewisse Inspiration. Die Wiesmann Fullies waren dementsprechend ein Vorbild für mich. Einzig mag ich es nicht so superleicht, ich hab’s dann doch etwas robuster, weshalb ich dann auch lange nach passenden Rohren gesucht habe.





Gibt es irgendwas, das du nicht bauen wollen würdest?
Liegeräder haben es mir nicht so angetan, und auch 20“ Klappräder finde ich nicht so interessant, außer es steht ein interessantes Konzept dahinter. Ein Rad das ich baue, sollte mir am Ende auch gefallen, sonst würde ich es nicht bauen wollen. Ich würde auch einen schönen Damenrahmen bauen, da hätte ich kein Problem mit. [lacht]
Du hast einen Strauß in deinem Logo, was hat es damit auf sich?
Das ist mehr oder weniger durch Zufall entstanden und zwar hatten wir damals fürs Bike Department [Bike Department Ost, Leipzig, Anm. d. Red.] ein neues Logo gesucht. Verschiedene Leute hatten sich daran geübt und das vorgestellt, ein Kumpel von mir hatte dann diesen Strauß mit eingebracht, warum auch immer. Der Strauß wurde dann vom Bike Department nicht genommen, ich dachte mir aber, der Strauß sei eigentlich ganz cool. Der Strauß ist ein recht einzigartiges Tier, läuft schnell – und mir gefiel das Logo und so ist das da reingerutscht.
Auf welches Rad in deinem „Programm“ bist du besonders stolz?
Das 29“ Allmountainfully. Das begeistert mich jedesmal, wenn ich damit fahre. [lacht] Eigenlob.
Montierst du die Räder dann auch?
Das ist unterschiedlich, aber ich baue die Räder selten komplett auf, meist ist das bisher gemeinsam mit dem BDO gelaufen, ich habe den Rahmen gebaut, im BDO wurde es dann mit Komponenten komplettiert. Ich habe aber auch Rahmen schon einzeln ausgeliefert. In Zukunft, wenn ich mehr Zeit mit dem Rahmenbau verbringe, wird es aber auch möglich sein, dass das mehr in meiner Werkstatt passiert.

Du scheinst eine große Bindung zum Bike Department Ost zu haben?
Ja, auf jeden Fall, ich arbeite dort seit Jahren, habe viele Freunde dort und werde auch in Zukunft weiter Zeit dort verbringen und dort schrauben.
Hast du technische Finessen an deinen Rädern, die hervorstechen?
Hmm… Es ist nicht so einfach, sich mit einem Stahlrahmen hervorzuheben. Bei mir sind es zum Beispiel die Edelstahlplättchen, die ich verarbeite. Überall, wo ein Zug scheuern könnte, löte ich diese Plättchen auf und verhindere damit Lackschäden.
Bei den Fullies habe ich mir abgeschaut, für die Lagerung keine Kugellager, sondern sphärische Gelenklager zu nutzen. Das ist ein Typ Gleitlager, der grössere Kräfte als ein vergleichbares Kugelllager und auch noch Querkräfte gut aufnehmen kann.
Ansonsten lasse ich mich gerne von alten Radkatalogen inspirieren, so um ´93 – ´97 herum. Da gibt es dann eine coole Form oder eine schöne Geometrie, die ich gerne mal umsetzen würde. Mountaincycle fand ich immer schon toll, da habe ich auch einen Rahmen, aber nicht hier. Oder etwas Außergewöhnliches wie die Balfas zum Beispiel (er besitzt zwei, Anm. d. Red.).
Aus der Zeit stammt auch die Inspiration für meine Revolt Kurbel, sie ist technisch an die Tioga Revolver und die Bullseye angelehnt. Sie ist ähnlich den Shimano Kurbel zweiteilig, mit 24mm Achse, die beiden Teile bestehen komplett aus Stahl. Es gibt dafür unterschiedliche Spider für verschiedene Kettenblätter, so kann die Kurbel universell eingesetzt werden.


Die Kurbel besteht auch aus Stahl, welche Rohre verwendest du denn bei deinen Rädern?
Columbus größtenteils. Die Rohre von Reynolds, die ich gerne haben möchte, die bekomme ich nicht so einfach, da bin ich noch nicht ganz hinter die Geschäftspolitik gestiegen. Deshalb hole ich mir jetzt Rohre von True Temper, die haben auch noch etwas dickwandigere, die einen guten Kompromiss aus Durchmesser und Wandung bieten. Leichtbaurohre sind bei meinem Einsatz meistens nicht die erste Wahl, die finde ich am Mountainbike nicht so dolle. Ich verwende daher nicht die Rohre mit dem größten Durchmesser, sondern diejenigen, die auch noch ausreichend große Wandstärke haben. So wird das Rad etwas dellenresistenter, weil ein MTB im Einsatz ja doch häufiger Fremdkontakt hat. Die Rohre für die Kurbel beziehe ich von einem Flugzeugzulieferer aus Schweden.

Wo wir jetzt beim eigentlichen Handwerk gelandet sind, wie hast du damals angefangen, hast du dir gleich einen Maschinenpark zugelegt?
[lacht] Nein, zu Beginn habe ich es ganz simpel gehalten, der Rahmenbau erfordert wenig Werkzeug. Säge und Feile reichen zu Beginn für die Gehrungen der Rohre. Als Rahmenlehre habe ich einen Tisch verwendet. Dazu eine 1:1 Zeichnung des Rahmens mit allen Winkeln, einige angefertigte Prismen, um die Rohre in Position zu halten und das Heften des Rahmens konnte beginnen.
Heute habe ich bereits die zweite Version meiner Rahmenlehre, hier kann ich die Einzelteile besser einspannen. Die Rahmenlehre dient aber nur zum Heften oder kontrollieren, die restliche Arbeit passiert meist frei, weil man dann besser an die Fügepunkte der Rohre kommt. Insgesamt habe ich meine Arbeit professionalisiert, aber Laserschneiden wie beispielsweise Nöll mach ich noch nicht [lacht].
Wie läuft eine Bestellung eines Bikes bei dir ab?
Der Weg zum Unique Maßrahmen beginnt mit einer exakten Positionsbestimmung. Die bisherigen Erfahrungen des Kunden mit seinen Rädern, der gewünschte Einsatzzweck, Detailwünsche und Fragen lassen sich nur im Gespräch erörtern. Am besten ist dazu ein persönliches Treffen. Dabei werden relevante Körpermaße aufgenommen und der Kunde vermessen. Ausgehend von einem Grundmodell entwerfe ich dann das persönliche „Unique”. Mehr dazu findet ihr auf der Unique Homepage.
Zum Schluss hat uns Sören seine Vermessungsanlage gezeigt, ein Ergometer, bei dem alle wichtigen Geometrieparameter eingestellt werden können. Die Besonderheit ist, dass die Gewichtsverteilung auf dem Rad festgehalten wird. Hierzu ist vorn eine Waage untergelegt. Sören hat in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass bei Personen mit besonders kurzen oder langen Beinen die Gewichtsverteilung auf dem Rad bei einer normalen Vermessung ungünstig ausfallen kann und dann die Fahrdynamik darunter leidet. Durch Anpassen der Vorder- und Hinterbaulänge kann das grundlegend verbessert werden
Vermessungsanlage von Xayok – Mehr Mountainbike-Videos
Der Beitrag Rahmenbau in Europa: Unique Handmade Bicycles ist auf MTB-News.de erschienen.