
Die 24h von Finale Ligure haben sich unter Mountainbikern einen Ruf als eines der härtesten Langstreckenrennen der Welt erarbeitet. Für MTB-News.de berichtet der Freiburger Kai Saaler von seinen Erlebnissen bei der diesjährigen Ausgabe der 24h EM, die am Pfingstwochenende in Finale Ligure stattgefunden hat. Viel Spaß mit einem Bericht über die Höhen und Tiefen eines Tages im Sattel!

24h Finale Ligure – Solo
Rennbericht von Kai Saaler
Und stetig grüßt das Murmeltier… Wenn Finale Ligure zur 24h Solo Europameisterschaft ruft, machen sich die ausdauerndsten Fahrerinnen und Fahrer der Mountainbike-Welt auf an die ligurische Küste, um auf einer ihresgleichen suchenden Strecke gegeneinander anzutreten. Jahr für Jahr steigt die Zahl der Bike-Verrückten und so bin auch ich, Kai Saaler (Team Back for®est) wieder mit von der Partie.
Als amtierender Europameister der Amateure mit einem 4. Platz in der Elite-Wertung im vergangenen Jahr, reiste ich mit durchaus großen Erwartungen zu diesem Event an. Doch wie es im Leben so ist, kommt erstens alles anders und zweitens als man denkt. Was sich in diesen doch recht ungewöhnlichen 24 Stunden in diesem Jahr getan hat, möchte ich euch gerne in meinem Rennbericht erzählen.
Man sagt ja immer, dass die Vorbereitung auf so ein Rennen das wichtigste ist und diese Erfahrung kann ich nur bestätigen. Daran gehalten habe ich mich jedoch nicht, wie ich unfreiwilligerweise schnell bemerke. Nachdem am Donnerstag, also einen Tag vor dem Rennen, meine Rennmaschine und das restliche Material zusammen mit meinen Betreuern in Finale Ligure angekommen war, ging im weiteren Tagesverlauf zunächst alles drunter und drüber.
Probleme mit der Anmeldung und ein verlorener Autoschlüssel brachten den ganzen Tagesablauf durcheinander. Es war noch nicht einmal Zeit, das neue Rad einzustellen und zu testen. Nachdem ich dann um ein Uhr nachts endlich vollkommen übermüdet ins Bett gefallen war, konnte ich mir kaum vorstellen, in den nächsten Stunden ein 24h-Rennen zu fahren. Geschweige denn mit der Spitze mithalten zu können. Doch genau deshalb war ich ja hier.
Am Renntag waren dann noch die letzten „Kleinigkeiten“ zu erledigen. Schaltung einstellen, Lockout der Federgabel entlüften, Knarzen im Antriebsstrang überprüfen und abstellen… das übliche eben, wenn man eigentlich erwartet ein komplett rennbereites Rad mitgebracht zu bekommen. So wie in jedem Jahr rollte ich mal wieder fast zu spät an den Start. Ohne die Hilfe der Jungs vom Team „Lokomotive Stuttgart“ hätte ich das nicht pünktlich geschafft, einmal mehr danke an die Jungs an dieser Stelle.

Und dann kam endlich der Start. In diesem Jahr fand er in dem schönen Küstenort Noli statt, der aus einer beschaulichen Altstadt mit den für Italien typischen kleinen Gassen besteht. Auf der Piazza vor der Kirche war ein luftgefüllter Startbogen errichtet worden und die Fernsehteams rund um die Biker-Masse ließen mich die Wichtigkeit des Rennens spüren. Europameisterschaft! Normalerweise bin ich vor all meinen Rennen sehr gelassen und unaufgeregt, aber nun schoss auch mir das Adrenalin durch die Adern.
Ich wusste genau, dass nun die wohl härteste 24h Rennstrecke auf mich und die restlichen 46 Einzelfahrer warten würde. Knackige, lange Anstiege. Verblockte Abfahrten gefolgt von kurzen, steilen Rampen. Schotterpisten und Speedpassagen, enge, steile Kurven. Und das ganze einen kompletten Tag und eine Nacht lang. Der Startsprecher holte mich aus meinem Tagtraum, indem er den Countdown einleitete. Tre, Due, Uno… dann folgte der laute Knall der Pistole und die Uhr begann zu ticken.
Wie bei einem Marathon raste das Feld dem Führungsfahrzeug hinterher durch die engen und verwinkelten Gassen der Altstadt. Wenige Minuten später wurde das Rennen freigegeben und es gab kein Halten mehr. Die Spitze, in der ich mich befand, schoss mit fast unsinnig hohem Tempo in den Anstieg hinein, der auf drei Kilometer eine Höhendifferenz von etwa 400 Metern aufwies. Der perfekte Start für ein Ausdauerrennen. Ich hechelte dem Vorjahressieger Rudolf Springer hinterher. Mein Plan war es, ihm ein paar Stunden zu folgen, um vom Altmeister zu lernen. Immerhin konnte der Österreicher schon drei Mal das prestigeträchtige Rennen für sich entscheiden und musste folglich wissen, wie man dieses Rennen fährt.
Ich konnte ihn vor mir keuchen hören und es befriedigte mich zu wissen, dass nicht nur ich am oberen Limit fuhr. Oder auch etwas darüber. Das Problem: Man muss in der Startphase vorne dabei sein, um nicht im Verkehr stecken zu bleiben. Dann ging es auch schon bald auf die reguläre Strecke und Rudolf hatte auch hier ein sehr hohes Tempo angeschlagen. Von Entspannung keine Spur. Nach einigen Runden schaute ich auf meine Pulsuhr und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich bei weitem nicht in dem Pulsbereich fuhr, den ich mir vorgenommen hatte. Das kleine Herz auf dem Display blinkte viel zu schnell – Wohlfühltempo fühlt sich anders an!
Rudolf und ich wechselten uns mit der Führung ein wenig ab und profitierten beide sehr voneinander. Er war der bessere Bergfahrer und ich stürzte mich in die Abfahrten. Nach dreieinhalb Stunden Fahrzeit konnte ich sogar an einem Anstieg die Führung übernehmen und danach direkt in einem technischen Downhill eine kleine Lücke aufreißen. Auf dem darauf folgenden Flachstück blickte ich mich um und konnte Rudolf nicht mehr sehen. War ihm etwas passiert oder war ich zu schnell?
Ich setzte meine Fahrt im gleichen Tempo fort, denn es war ja immerhin die Europameisterschaft. In der Team-Area gab ich seinen Betreuern Bescheid, dass er wohl ein Problem haben muss, denn ich war mir sicher, dass ein kleiner Fisch wie ich den Elite-Europameister nicht so einfach am Berg abhängen würde. Nach einer weiteren Runde erkundigte ich mich bei seinem Helferstab nach Rudolfs Befinden und ob es ihm gut gehe. Man versicherte mir, dass alles in Ordnung sei, er aber das Tempo gedrosselt habe. Für einen kurzen Moment war ich beruhigt, dass es ihm zumindest gut ging. Doch wie ein Geistesblitz dämmerte mir, dass auch ich zu schnell unterwegs sein könnte.
Nach vier Stunden nahm ich also ebenfalls ein wenig Tempo heraus, was mir bei der technisch anspruchsvollen Strecke sehr schwer fiel. Es machte einfach zu viel Spaß über den Track zu donnern und die Kurven zu schneiden. Meine Schwester und meine Cousine, die meine Betreuer für dieses Event waren, teilten mir mit, dass ich wohl doch nicht auf dem ersten Rang sei. Der Australier Morgan Pilley war schon von Beginn an der Führende der Gesamtwertung, tauchte allerdings erst jetzt in der Liste auf, da er kein Europäer ist und somit auch keinen Anspruch auf den Europameistertitel hatte. So läuft das in Italien.

Zwei Stunden später, nach einem Viertel der Rennzeit, wurde ich nun auf dem zweiten Platz geführt. Das brachte mich dann doch ein wenig aus dem Konzept, da ich nicht damit gerechnet hatte, schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Rennens vorne mitmischen zu können. Immer mehr achtete ich auf jedes Detail des Rennens. Der Nahrungsrhythmus, die Flüssigkeitszufuhr und die Ideallinie wurden verbessert, damit ich genügend Treibstoff hatte und Energie sparen konnte. Alle Kurven wurden geschnitten und die Strecke ausgereizt. Beim Versuch eine Kurve noch enger zu schneiden, bin ich dann allerdings mit dem Arm an einem Ast hängen geblieben. Einen Sturz mit ca. 30 km/h konnte ich gerade noch verhindern, doch der Arm begann leicht zu bluten und schwoll etwas an. Keine guten Voraussetzungen für die kommenden Stunden, dachte ich. Und das wo ich eigentlich die Konzentration steigern und den Rhythmus kontrollieren wollte. Die Fahrt ging aber natürlich dennoch weiter.
Nach acht gefahrenen Stunden stand mein erster planmäßiger Boxenstop an. Es musste schnell gehen, denn mein Vorsprung auf den Drittplatzierten betrug gerade einmal sechs Minuten. Meine Schwester hielt also das Zweitrad und etwas zu essen bereit. Auf das Wechselrad geschwungen drehte ich eine Runde, bis mein Bike für die Nacht fertig gemacht wurde und ich meine Fahrt wie zuvor fortsetzen konnte.
Bei Anbruch der Dunkelheit fühlte ich mich noch erstaunlich gut, obwohl ich schon neun Stunden im Sattel verbracht hatte. Dann kam die gefürchtete Nacht und es wurde spürbar kälter. Ich drosselte noch einmal mein Tempo, um in der Nacht nicht zu viel in den Abfahrten zu riskieren und den Körper nicht zu sehr in der Kälte zu strapazieren. Ehe ich mich versah, war ich auf den dritten Rang abgerutscht und der Schweizer Daniel Schmidheiny übernahm meine Position. Ich versuchte mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, denn die Hälfte des Rennens war noch nicht erreicht. Doch der Brite Richard Dunnertt war mir auf den Fersen und lag keine zwei Minuten hinter mir. Die ersten sieben Fahrer hatten nur geringe Zeitabstände und so war das Endklassement noch vollkommen offen – Hochspannung, die von den vielen Zuschauern im letzten Downhill vor Start/Ziel mit Begeisterung, Musik und Bier gefeiert wurde.
Es war dunkel, mir war kalt und nun hatte ich auch noch einen Platten! Meine Motivation ging rapide in den Keller.
Einzig der Australier Morgan Pilley konnte eine Runde Vorsprung auf uns Europäer herausfahren. Nach 13 gefahrenen Stunden hatte ich in einer kurvenreichen Abfahrt Probleme die Spur zu halten. Das Vorderrad begann zu schwimmen und ich bemerkte, dass ich Luft verlor. Wenige Meter später hatte ich keine Luft mehr im Reifen und ich musste am weitest entfernten Punkt von der nächsten Techzone anhalten. Es war dunkel, mir war kalt und nun hatte ich auch noch einen Platten! Meine Motivation ging rapide in den Keller. Jetzt galt es nicht zu viel Zeit zu verlieren, um meinen platten Reifen zu flicken. Die Europameisterschaft! Ich legte mein Rad auf den Boden und begann sofort den Reifen von der Felge zu hebeln. Doch dieser saß so straff auf der Felge, dass ich ihn nicht herunter bekam. Nach langem Gezerre und einem abgebrochenen Reifenheber schaffte ich es endlich – mit Hilfe des Schraubenziehers meines Multitools. Der Rest war dann relativ schnell erledigt… Trotzallem kostete mich dieser platte Reifen wertvolle Zeit und auch Nerven. Fast 20 Minuten verlor ich bei dieser Aktion und rutschte im Gesamtklassement auf den achten Rang ab. Argh.
Aber ich konnte meine Fahrt fortsetzen. Um vier Uhr nachts kam der für mich kritische Punkt eines jeden 24h Solo-Rennens. Wir waren nun schon seit 16 Stunden unterwegs, doch es lagen immer noch acht Stunden vor uns. Mein Körper schmerzte. Eine Stunde später begann es über dem Meer zu dämmern. Mit Anbruch des Tages kam langsam wieder die Motivation und damit auch die Kraft zurück. Ich erhöhte mein Tempo wieder ein wenig und konnte einen Platz gutmachen. Um acht Uhr morgens begann dann die heiße Phase des Rennens. Alle Fahrer waren geschafft und ich wusste, die letzten Stunden würden noch einmal sehr lang werden. Ich konnte noch einmal das Tempo erhöhen und den Franzosen Alexis Matthys überholen. Der vor mir fahrende Jones Matthew David aus England hatte nur fünf Minuten Abstand und startete ebenfalls in der Amateur Kategorie. Ich setzte mir das Ziel, ihn in den letzten zwei verbleibenden Stunden zu überholen.
Ich konnte den Engländer überholen und quetschte die letzte Energie aus meinen Beinen. Die Beine schmerzten und der ganze Körper war angespannt. Ich wollte meine Platzierung nicht wieder hergeben.
Nach einer Runde konnte ich auf ihn aufschließen und zog an einem steilen Anstieg an ihm vorbei. Allerdings erkannte er die Situation und konterte sofort. Seinem beherzten Antritt konnte ich dann leider nichts entgegen setzen. Er war zu diesem Zeitpunkt einfach zu schnell für mich und ich wusste: in den letzten Stunden konnte noch einiges passieren. Nach einer weiteren Runde war ich wieder auf Schlagdistanz. Ich schaute auf meine Uhr und sah, dass es noch eine Stunde zu fahren war. Das bedeutete, dass noch zwei Runden zu fahren waren – und dann sollte das Martyrium an der Ligurischen Küste endlich geschafft sein. Angriff war die beste Verteidigung, dachte ich und trat noch einmal richtig in die Pedale. Ich konnte den Engländer überholen und quetschte die letzte Energie aus meinen Beinen. Die Beine schmerzten und der ganze Körper war angespannt. Ich wollte meine Platzierung nicht wieder hergeben. Eine Runde war nun noch zu überstehen und ich gab noch einmal alles was an Restenergie zur Verfügung stand. Nach 47 gefahrenen Runden kam ich als 4. der Gesamtwertung ins Ziel. Bei den Amateuren (U30) konnte ich den 2. Platz einfahren und sogar den Engländer Jones Matthew David um 12 Minuten auf den letzten beiden Runden distanzieren. Ein befriedigendes Gefühl nach so vielen Stunden auf dem Rad.
Nach ca. 380 Kilometern und 9.400 Höhenmetern ging für mich das wohl härteste 24 Stunden Rennen der Welt vorüber. Die anschließende Siegerehrung war dann ein leichter Schock. Im letzten Jahr hatte organisatorisches Chaos mich den dritten Platz gekostet. Als mein Name als zweiter der Amateure aufgerufen wurde, stieg ich dann nichtsahnend und stolz auf das Treppchen. Der Moderator streifte mir das Europameisterschaftstrikot über und ich schaute verdutzt aus der Wäsche. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass der Gesamtsieger ein Australier gewesen war. So bin ich nun der alte und neue 24h MTB Solo Europameister.

Überglücklich feierten meine Betreuer und ich diesen Titel. Denn ohne meine Betreuer wäre das alles nicht möglich gewesen. Danke an dieser Stelle an alle, die mich vor und während des Rennens so sehr unterstützt haben. Der nächste 24h Einsatz in München nur wenige Wochen später war hingegen nicht nur langweilig, sondern körperlich ein echter Reinfall – ich freue mich schon wieder auf Finale im nächsten Jahr!
Foto-Story
Ihr könnt euch nach diesem Bericht noch kein Bild vom Rennen machen? Dann wird euch die folgende Foto-Story mit Sicherheit weiter helfen. Das Team von Sportograf.de hat auch dieses Rennen in Finale Ligure wieder in vollem Umfang dokumentiert und einige beeindruckende Aufnahmen gemacht, die wir euch nicht vorenthalten wollen.




















Weitere Informationen
Bilder: Sportograf.de, Kai Saaler
Text: Kai Saaler
Redaktion: Tobias Stahl | MTB-News.de 2015
Der Beitrag 24h Solo-EM in Finale Ligure: Die Qual zum Meistertitel [Rennbericht von Kai Saaler] ist auf MTB-News.de erschienen.