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Dennis Stratmann, Herausgeber des RANDOM-Photography Magazins, war im Aostatal unterwegs und hat, neben einem kurzen Video von den Trails, eine atemberaubende Reisestory mitgebracht. Top Trail, gutes Wetter und eine coole Crew – perfekte Voraussetzungen für einen Trip durch die schönen italienischen Alpen.
AOSTA.
Um richtige Bike-Abenteuer zu erleben und neue Trails zu entdecken, musst Du schon an sehr entlegene Orte fahren. Heute ist doch jeder Trail Europas erschlossen, erkundet und medial verwurstet. “Alles Blödsinn” entgegnet mein alter holländischer Kollege Jarno, der bereits seit Jahren in Chamonix lebt und mit seiner Company “Ride with the locals“ epische Bike-Abenteuer verspricht. Jarno lernte ich Mitte der 90er Jahre kennen. Er fuhr Downhill – mehr schlecht als recht – im Windschatten der starken holländischen Fahrer wie Bas de Bever, Gervin Peters und Michel Kruiper, die damals sogar im Weltcup vorne mitmischen konnten. Und genau er behauptete, dass es nur eine Autostunde von ihm entfernt noch wirklich Wildes und Unentdecktes gäbe. Ich glaubte ihm kein Wort, machte mich aber dennoch direkt auf den Weg, denn es liegt in der Natur der deutsch-holländischen Freundschaft, dass man seinen Gegenüber gerne scheitern sieht – und sei es beim Aufziehen der Schneeketten. Ich packte noch meinen Kumpel Christoph ein, den ich sogar noch länger als Jarno kenne. Auch er gehörte einst zu den besten deutschen DH-Fahrern und dreht immer noch mächtig am Gashahn, wie viele Top Platzierungen in Enduro Wettbewerben beweisen.
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Da wir dringendst noch einige von Jarnos Hometrails in Chamonix fahren mussten, erreichten wir den Treffpunkt mit den italienischen “Locals” erst mit einer gehörigen Verspätung. “No problemo” lächelt uns Buba entgegen “you just arrived in italian time”. Wir stehen also auf dem Gondelparkplatz in Aosta, unterhalb des Pila Bike Park. Das Aosta Tal erstreckt sich von Turin im Süden bis hinauf an den Mont Blanc und ist in der Tat nicht unbedingt als Perle des Bikesports bekannt. Den Bike Park von Pila kennt man zwar mittlerweile in Szenekreisen, da dort schon regelmäßig hochkarätige Enduro- und DH-Rennen abgehalten werden, aber der Region an sich verhalf das noch nicht zum Durchbruch. Wird seine Gründe haben, denke ich mir…
Zu meinem Erstaunen nehmen wir nicht die Gondel, sondern laden die Bikes auf ein Shuttle. Die erste Station ist eine Espresso-Bar nur wenige Hundert Meter entfernt, wo wir in guter italienischer Manier verpflegt werden. Fabrizio bittet uns, dass wir uns ein großes Panini einstecken sollen, für den langen Anstieg. Ich bin verwirrt – unsere Bikes stehen doch auf dem Shuttle und von langem Anstieg war doch gar nicht die Rede. Ich hatte mich auf ein paar gute Trails mit Uplift gefreut – sollten wir uns geirrt haben?
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Schier endlos windet sich der Bus die Straße hoch. Eine relativ kleine Landstraße führt von Aosta Richtung San Bernardino. Die Bebauung wird deutlich dünner und spätestens als wir auf einen Schotterweg einbiegen ist außer Kühen und Almhütten nicht mehr viel zu sehen. Es geht höher und höher und dennoch scheinen die Gipfel in weiter Ferne, als das Shuttle plötzlich anhält. Weiter geht der Weg nicht mehr und ab jetzt heißt es in die Pedale treten. Buba erklärt uns, dass wir nun etwa 1 h bergauf fahren müssen, um danach nochmals eine weitere Stunde die Bikes zu tragen. Da die Steigung moderat ist und der Blick auf Aosta ein wahrer Genuss, fällt das Pedalieren nicht wirklich schwer. Auch die 500 hm, die wir zu Fuß erklimmen, gehen noch recht leicht von der Sohle.
Auf dem Kamm angekommen ist das Panorama noch besser als erwartet. In die eine Richtung sehen wir ins Aosta Tal mit seinen Städten und Dörfern und auf der anderen Seite – nichts. Hier scheint die Wildnis zu beginnen. Außer einer kleinen Almhütte am nächsten Kamm ist von Zivilisation nichts zu sehen. Fabrizio erklärt uns, dass sich die paar Touristen, die hier unterwegs sind, eher auf der Südseite von Aosta aufhalten. Hier auf den Nordhängen ist man die meiste Zeit allein und auch im Winter ist das wohl der Freeride-Geheimtip schlechthin – sofern man auf Lifte verzichten kann. Die gibt es hier nämlich genauso wenig. Wir schießen ein paar Fotos und stürzen uns in den Trail, den Buba uns anzeigt. Schon nicht schlecht, wie sich der Pfad über die Wiesen und Steinplatten schlängelt, aber bereits nach 200 Tiefenmetern stehen wir vor dem nächsten Anstieg. Und so sollten wir dann auch den Rest des Tages verbringen. Viele kurze schöne Trails wechseln sich mit langen und zähen Uphill-Passagen ab. Immer wieder erklimmen wir den nächsten Kamm, der uns ins nächste, nahezu unberührte Tal blicken lässt. Vorbei an traumhaften Bergseen und satten Almwiesen stellt sich uns dennoch die langsam die Frage: Ist das “the italian way of mountainbiking”? Wir hiken statt biken und dem ein oder anderen krampft bereits die Wade. Die Sonne steht schon beachtlich tief am Himmel und ich denke mir: Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit unten sein wollen, hätten wir nicht schon längst mal über eine Abfahrt nachdenken müssen?
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Dann endlich: Buba deutet in einen unscheinbaren Trail, der links ab über eine Kante führt. “Down here my friends!” Christoph, auch schon sichtlich entkräftet, biegt ein und wir folgen ihm. Was dann folgt, ist kaum in Worte zu fassen. In sanftem Gefälle über erdig trockenen Boden schlängelt sich der Trail in nicht endend wollenden Kurven entlang des Grates in einen Nadelwald und auch dort zuckt er weiter durchs Unterholz wie die Herz-Rhythmus-Kurve eines Epileptikers. Das zarte Grinsen im Gesicht weicht einem ekstatischem Lachanfall, als wir das Ende des Weges erreichen. Wie konnte Buba so cool bleiben, als er uns oben auf den Weg schickte? Ohne Diskussion sind wir alle uns einig, das dieser Trail in die persönlichen Top 5 Trails “ever” aufgenommen wird.
Ohne Diskussion sind wir alle uns einig, das dieser Trail in die persönlichen Top 5 Trails “ever” aufgenommen wird
Völlig voll mit Adrenalin wollen wir noch mal hoch. Nachdem Massimo uns aber erklärt, dass es von hier mindestens 1 h Uphill zum Start bedeutet und die Sonne bereits hinter dem Berg verschwunden ist, beschließt die Gruppe, dass wir die Magie der ersten Befahrung behalten und nicht wieder hochfahren. Körperlich wären wir dazu ohnehin nicht in der Lage gewesen. Sanft rollen wir über einen Almwiesentrail weiter und erreichen nach wenigen Minuten einen Berggasthof in Vetan. Fabrizio hat bereits für alle einen Tisch reserviert und lokale Spezialitäten geordert. Wir lassen es uns schmecken und besonders der “Nachtisch” gibt uns den Rest. Die Wirtin bittet uns in die Küche, wo sie in eine Holzschale Grappa, Espresso, Gewürzen und Orangen füllt und erhitzt. Die “Grolla” ist eine typische Spezialität aus dem Aosta-Tal und wird gern als “Freundschaftsschale” übersetzt. Sie hat so viele Trinkhälse wie Personen am Tisch sitzen und wird reihum gereicht. Der ohnehin schon endorphingeschwängerten Stimmung tut es in jedem Fall keinen Abbruch.
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Es ist bereits spät und stockdunkel. Fabrizio erklärt uns, dass er nur 200 hm tiefer eine kleine Hütte besitzt, wo wir nächtigen werden. Lachend schwingt er sich auf sein Bike und verschwindet im dunklen Wald. Wir folgen wie auf rohen Eiern – finden die Hütte aber Gott sei Dank trotzdem irgendwie. Buba hat bereits den Kamin angefeuert und Fabrizio seinen homemade-Grappa auf dem Tisch verteilt. Wir müssen jeden probieren. Die kurze Nacht wird noch kürzer, denn Jarno sägt den Schlaf der Gerechten.
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Um 6 Uhr geht der Wecker, denn wir wollen im Morgenlicht ein paar Aufnahmen machen. Leider zieht dichter Nebel ums Haus und nach einem Espresso und einem Cracker fahren wir erneut hinauf zum Berggasthof. Dort verspricht uns Fabrizio ein ausgiebiges Frühstück für die bevorstehenden Strapazen. Strapazen? Mir ist klar, dass ich die 200 Hm zum Gasthof noch überleben werde, aber danach ist Feierabend. Ich will auf die Abfahrt!
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Am Gasthof treffen wir Edo, einen weiteren Local aus Aosta, der sich bereits morgens um 5 auf den Weg gemacht hat, um per Bike den Gasthof zu erreichen. Edo fährt für die italienische Kultmarke Ancilotti und ist einer der besten DH-Piloten, die Italien zu bieten hat. Mir dämmert in etwa, welche Art von Trailkaliber auf uns zu warten scheint, wenn sogar ein Local sich morgens um 5 aus dem Bett schält, um diesen Weg zu fahren. Es gibt also kein Zurück. Buba erklärt uns, dass wir nun etwa eine Stunde bergauf radeln und dann abermals eine weitere Stunde zu Fuß klettern müssen bis wir auf dem Grat ankommen, der bis Aosta zurück führt. Allein der Gedanke lässt meine geschwollenen Beine schwerer werden, aber wenn einem die Locals ihre Perlen zeigen, dann gibt es kein Aufgeben.
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Gefühlte 6 Stunden später erreichen wir endlich den Grat. Ausblick leider null. Schlechte Sicht und einsetzender Regen lassen alles in grauer Suppe verschwinden. Trotzdem: der Trail vor uns ist klar und deutlich und wir treten lustvoll, mit Pudding in den Beinen, in die Pedale.
Schon nach den ersten Metern weichen unsere Zweifel. Lachsalven gefolgt von “ooh, aahhh” Ausrufen. Ein Traum. Uns wurde nicht zuviel versprochen. Der Trail durchläuft mehrere Vegetationsschichten: Von satten Wiesenböden über staubige Nadelwälder bis hin zu felsigen Passagen kurz vor Aosta ist für jeden etwas dabei. Permanenter Flow.
Wir beenden den Tag mit einer leckeren Pizza in einer von Aostas unzähligen Pizzerien. Wir haben viel erlebt in den 2 Tagen: wir sind tolle Trails gefahren und haben nette Menschen kennengelernt. Allerdings fehlten ein paar entscheidende Dinge, die sonst bei jedem Bike-Urlaub dabei sind: Wanderer und Bremswellen. Von beidem absolute Fehlanzeige! Wer also bereit ist, sich seine Trailmeter mit hartem Bergaufkampf zu erarbeiten, wird im Aosta-Tal das Paradies vorfinden. Und für alle anderen wäre da noch der Bikepark in Pila. Wir verneigen uns vor unseren italienischen Locals und bedanken uns für die außergewöhnlichen Tage, die sie uns bereitet haben – und damit meinen wir nicht nur die Trails, sondern insbesondere ihre Gastfreundschaft. Zumindest mein Schädel brummt noch und das ist ein gutes Zeichen…
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Besser hätte es nicht laufen können. Und was Jarno angeht – 3 Dinge haben wir gelernt:
- Die beste Wanderkarte ersetzt keinen “local”.
- Unterschätze niemals einen Holländer (weiß seit der Fußball-WM sowieso jeder!) und
- Wir kommen wieder – da kannst Du sicher sein! Thanks man!
Video: Impressionen aus dem Aostatal
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Der Beitrag Dennis Stratmann: Traumtrails im Aostatal [Fotostory] ist auf MTB-News.de erschienen.