
Da recherchiere ich mir auf der Suche nach Informationen zu einem Text meine Inspiration kaputt. Ich hatte die Idee, eine Geschichte über die Menschen im Hintergrund unseres Rennfahrerdaseins zu schreiben. Dabei stoße ich auf einen Artikel von Ullrich „Uller“ Rose, sportlicher Leiter im Team Focus Rapiro Racing. Im Text „Mythos Fahrerfrau“ trifft er wirklich immer genau den Punkt. Mir bescherte er eine Schreibblockade zum Thema und Euch den folgenden Gastbeitrag. Viel Spaß beim Lesen.
Vorsicht Kurve! Eine kleine Staubwolke bildet sich. Der rechte Arm geht raus und greift nach der Flasche. Kurz darauf die Anweisung. „Nächste Runde Gel und Cola!“
Der Befehlsempfänger ist eine Ehefrau, Lebensgefährtin oder Freundin. Eine von unendlich vielen Frauen, die ihre Freizeitprofis, Wochenende für Wochenende zu Wettfahrten begleiten. Nur mit 3 Aufgaben betraut: versorgen, trösten, bemuttern. Doch woher rührt dieses unterwürfige Herumlungern in deutschen Wäldern? Wie entstehen solche Serviceabhängigkeiten zwischen Mann und Frau? Warum rebellieren Frauen nicht? Haben Männer grundsätzlich eine unfassbar schlechte Selbstwahrnehmung? Es gilt, Antworten zu finden.
In den meisten Fällen ist der Ursprung dieser Rollenverteilung, -er fährt und sie funktioniert- ganz harmlos.
„Du Schatz, ich nehme an so einem MTB-Event teil. Würdest du gern mitkommen? Ist mal was anderes und vielleicht kannst du mir unterwegs auch eine Flasche anreichen?“ Was sich anhört wie ein lustiger, entspannter Ausflug ins Grüne, ist es meist nicht. Schnell kann der Ausflug zu einem Teufelskreis aus Trinkflaschen, dreckigen Klamotten und verregneten Sonntagen verkommen. Denn hat der selbsternannte Bergfloh erst einmal die Vorzüge dieser neuen Sportart für sich entdeckt, werden die Bedürfnisse der bezaubernden Gattin schlichtweg kleingeredet. Das Leben hat jetzt einen neuen Rhythmus:
Montags heißt es für den Häuptling: Regeneration. Während er sich gemütlich auf dem Sofa mit entsprechender Fachliteratur rumlümmelt, erweitert Sie ihre geologischen Kenntnisse bei dem Versuch, die verkrusteten Bodenarten aus der Wettkampfbekleidung mit Hammer und Meißel herauszulösen.
Dienstag ist ein Trainingstag. Nach einem anstrengenden Tag im Steinbruch des Kapitalismus stürmt er mit seinem Plastehobel die umliegenden Hügel hinauf. Frauchen darf indes den Haushalt vor der Verwahrlosung retten und die Kinder bespaßen, sollten diese nicht schon längst aus der Herberge des Hochleistungssport getürmt sein.
Mittwoch und Donnerstag verlaufen sehr ähnlich. Nach dem Knechten des Sportgeräts stürmt ein mit reichlich Waldboden geschmückter Sportler die saubere Küche. Dort werden dann Mitmenschen und Küchenboden mit allerhand Neuigkeiten sowie Erdreich berieselt. Zur Mitte der Woche schweift der Blick schon wieder gen Wochenende. In einem epischen Monolog wird der grobe Ablauf fürs Wochenende skizziert und zugleich der Besuch bei den Schwiegereltern anlässlich ihrer goldenen Hochzeit abgesagt. In Anbetracht dessen stellt sich ihr die Frage, ob der adipöse Postbote in seiner durchgeschwitzten Polyesteruniform nicht doch eine verlockende und amouröse Alternative darstellen könnte.
Freitag und Samstag gestalten sich in Abhängigkeit vom Rennprogramm. Ist am Samstag bereits ein Start vorgesehen, ist die Frau angehalten, ihre 40 Stunden-Arbeitswoche zügig zu beenden. Es stehen ja noch 350 km Anreise bevor und der Kofferraum möchte befüllt werden. Ist die Anreise erst für Samstag geplant, darf die Schönste aller Schönen sich noch einmal der Hausarbeit hingeben, bevor ein fünfminütiger Freizeitgenuss den Tag abrundet. Der werte Herr lässt währenddessen seinen Blick durch die Weiten des WWW wandern. Überflüssiges Familienkapital muss in Anbauteile für sein Plasterad investiert werden. Geld spielt hier keine Rolle, denn es dient ja schließlich dem Familienwohl. Zeit zum Reden findet sich auf der nicht enden wollenden Autofahrt: Chancen, Konkurrenten und sämtliche Rahmenbedingungen werden hier beleuchtet. Als Psychologin wider Willen ist es ihre Aufgabe, nun den Erfolgsweg vorzuzeichnen und den Göttergatten auf den möglichen nahenden Erfolg einzustimmen.
Der beste Tag der Woche beginnt mit einem frühen Erwachen, währenddessen draußen der Starkregen gegen die Fenster trommelt. Für Frühstück bleibt wenig Zeit, so dass im Auto Frischeiwaffeln und andere kulinarische Grenzgänger verzehrt werden.
Wenn die Zeit für den Startschuss gekommen ist, verfällt die Angetraute in die Rolle des Packesels. Laufräder, Rucksack, Flaschen, Gel, Kamera, Werkzeug dienen als Grundausrüstung für den Tag. Wahrgenommen wird nur noch die Krönung der Schöpfung im hautengen Beinkleid beim Plausch mit den Kollegen.
Die Fahrerfrau versammelt sich zu diesem Zeitpunkt das erste Mal mit ihren Leidensgenossinnen vor den gut besuchten Dixi-Klos, bereit, weitere Anordnungen in Empfang zu nehmen.
Ist der Start erfolgt, wird Position in der Feed Zone bezogen. In abgetragenen Teamklamotten wird dem Vorbeirauschen des Gatten entgegengefiebert. Gel an der Flasche, Laufräder griffbereit, beim Fotoapparat das Menü Sport gewählt, so kann es weitergehen. Es könnte alles so schön sein! Wäre da nicht das Rinnsal aus Schlamm, das sich seinen Weg gen Tal bahnt, mitten durch die FlipFlops der attraktiven Weiblichkeit.
Da kommt er dann auch, der Eroberer der Mittelmäßigkeit. Er greift nach seiner Flasche, lässt fast alles fallen und erkundigt sich noch hastig nach seiner Position. Zum Schluss wird sich noch über die Fehler bei der Flaschenübergabe ausgelassen. Mit stoischer Ruhe erträgt sie vier weitere atemlose Verpflegungsszenarien dieser Art, an diesem sporthistorischen Tag am Rande der Zivilisation.
Ist alles an Material erst einmal wieder ins Ziel geschleppt, nähert sich auch schon die Krone der Schöpfung. Ein Platz irgendwo in der Bedeutungslosigkeit, festgehalten auf einem Foto für die Enkel. Das steht am Ende auf der Habenseite. Begeistert von der eigenen Leistungsfähigkeit nutzt er nun jede Gelegenheit, um sich seinen Mitstreitern über Strecke, Platzierungen, persönliche Ausreden und den weiteren Saisonverlauf zu offenbaren. Sie erschlägt ihre „gute Laune“ mit Selbstgesprächen. Im Regen auf die Lungenentzündung wartend freut sie sich auf die bevorstehenden Schilderungen der Irrfahrt.
Mit stolz geschwellter Brust schreitet er, im Stile eines Feldherrn, nach geraumer Zeit seiner besseren Hälfte entgegen. Er ist bereit für das Belohnungsbussi. Eine wahre Fahrerfrau ist sich auch hier für nichts zu schade und erduldet auch diese Fangobehandlung mit Zungenschlag. Beim Beladen darf das starke Geschlecht natürlich mit anpacken. Unterdessen er sich in weiteren Gesprächen, hinsichtlich des Gleitvermögens seines Vorderreifens im 45° Neigungswinkel auf einer mit Schlammemulsion gesprenkelten Straße, versucht.

Glückselig, ein weiteres Wochenende näher an der Rente zu sein, wird die heimische Spielwiese für die Nacht betreten. An Spielen ist an diesem geschichtsträchtigen Abend nicht mehr zu denken. Der Pedalritter ist einfach zu geschafft für weitere körperliche Glanztaten. In einem Anflug geistiger Umnachtung erwähnt er so nebenbei, das am nächsten Wochenende ein geiles Rennen gefahren wird, nur vierhundert Kilometer Autofahrt vom heimischen Herd entfernt.
„Da fahren wir hin, ich habe schon gemeldet!“
Während Sie noch abwägt, mit wie viel Jahren Zuchthaus sie zu rechnen hat, für Körperverletzung mit Todesfolge am eigenen Mann, röchelt er auf dem Weg ins Land der Träume.
“Danke, dass du das alles für mich machst, ich liebe dich.“
Da haben wir es. In kleinen Zeitfetzen wird dem Mann eins bewusst: Seine Frau ist mehr als nur ein Bring-Mir-, Gib-Mir-Assistent. Er erinnert sich, dass ihre Beziehung sich nicht auf Trinkflaschen oder dem Transport von Laufrädern in die entlegensten Winkel forstwirtschaftlicher Monokulturen aufbauen sollte. Nur sind diese Momente kurz und äußerst selten. Frauen sollten diese Augenblick der männlichen Zurechnungsfähigkeit genießen und im Kalender vermerken.
Die psychischen Gründe und biochemischen Vorgänge, die im Kopf ablaufen und dafür sorgen, das Männer immer was wollen und Frauen sich dem unterordnen, konnten an dieser Stelle nur ansatzweise beleuchtet werden. Das Thema befindet sich in einem frühen Stadium der Forschung. Trotzdem, es hat Spaß gemacht, einfach mal über das drollige Verhalten von Männlein und Weiblein beim Ausleben ihrer putzigen Hobbys zu sinnieren. Danke an alle Tanjas, Doreens, Steffis, Sonjas und wie ihr alle heißt. Danke, dass ihr uns so nehmt wie wir sind, wir können auch gar nicht anders.
Text: Ulrich „Uller“ Rose – Focus RAPIRO Racing Team http://www.rapiro-racing.de

In diesem Sinne, Think Pink – Eure Muschi
Anmerkung: Für den Inhalt der Artikel aus der Serie “Muschi am Mittwoch” ist der benannte Autor verantwortlich. Die in den Artikeln vertretenen Ansichten und Meinungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Für Anregungen und Kritik steht der Autor hier themenbezogen in den Kommentaren und allgemein per privater Nachricht zur Verfügung.
Der Beitrag Muschi am Mittwoch: Mythos Fahrerfrau ist auf MTB-News.de erschienen.