
Felt Decree im Test: Wo sind all die Enduros hin? – Diese Frage möchte man sich fast stellen, nach dem mehr und mehr kurzhubigere Bikes von den Firmen vorgestellt werden. 140 mm sind dennoch schon potent genug, um so ziemlich alles unter die Stollen zu nehmen, was nicht mit größeren Gaps oder üblem Downhillgelände zu tun hat. Das neue Felt Decree (engl. „Erlass / Verordnung“) schlägt in genau diese Kerbe und sein vorgespannter Hinterbau mit einem Mix aus regulären Drehpunkten und flexendem Carbon ist sicher ein sehr interessantes Konzept.
Kurz und bündig
Federweg: 150 mm (Front), 140 mm (Heck)
Rahmenmaterial: Hinterbau durchweg Carbon (systembedingt), die günstigeren Modelle kommen mit einem vorderen Rahmendreieck aus Aluminium
Anpassbare Geometrie: Ein Flipchip ermöglicht die Wahl zwischen 67° und 68° Lenkwinkel sowie +/- 10mm Tretlagerhöhe
Zugführung: Komplett intern (ein Di2 Batteriehalter ist im Rahmen vorbereitet)
Rahmengewicht: 2100 g (large)
Gewicht Komplettrad: 11,17 kg (Topmodell in medium, mit Pedalen)
Antrieb: Option auf 2-fach
Tretlager: BSA
Ausfallende: 142×12
Einsatzbereich: Trail
Preis: von 2750,– bis 9999,– €
Verfügbarkeit: Ab Dezember 2015
Entwicklungsprozess
Um ein erstes Funktionsmodell zu bekommen ist es in der Branche üblich, bestehende Plattformen umzubauen. So nahmen die Felt Ingenieure ein 29 Zoll Edict aus ihrer Cross-Country Linie und modifizierten es soweit, dass es auf 650B Laufrädern stand. Hier ging primär es um das Testen der Pedalierbarkeit des Bikes. Als hier ein Wert gefunden wurde, entschied man sich, am Heck statt der “Equilink”- die „FAST“- Technologie zu verwenden, welche bereits in einigen der kurzhubigeren Bikes von Felt zum Einsatz kommt.
Im nächsten Schritt galt es die Geometrie festzulegen. Hier war ursprünglich ein 68° Lenkwinkel vorgesehen, aber beim Schweißen fiel dieser um ein Grad flacher aus. Das Rad wurde dennoch so getestet und von allen für gut befunden – also blieb es bei den 67°.
Der letzte Schritt, bevor ein Carbonmould geöffnet wird, ist ein 1:1 Modell, welches im 3D Druck gefertigt wird. Hier können aktuelle Umwerfer oder Dämpfer montiert werden und es zeigt sich, ob überall genug Platz ist, um alle notwendigen Schrauben zu erreichen und dass nichts beim Einfedern kollidiert.
Nach Fertigung des ersten Carbonmusters war die Entwicklung noch nicht beendet. Der FAST Hinterbau benötigt eine entsprechende Dämpferabstimmung, diese wurde zusammen mit RockShox vorgenommen. Ab diesem Zeitpunkt waren dann auch die Teamfahrer von Felt involviert.
Im letzten Schritt vor der Produktion galt es, alle Feinheiten wie Übergänge der Rohre und die Montagepunkte noch mal zu überprüfen und so die Dauerhaltbarkeit zu gewährleisten sowie die Steifigkeit zu optimieren.
FAST Suspension Technology
Das Akronym FAST steht für Felt Aktive Stay Technology. Was steckt dahinter? Weniger bewegliche Teile sollen für längere Wartungsintervalle und eine insgesamt verringerte Anfälligkeit sorgen. Zusätzlich bescheinigt Felt diesem System bessere Steifigkeitswerte und ein geringeres Gewicht.
Vom unteren Drehpunkt über das Ausfallende bis hin zum oberen Umlenkhebel vor dem Dämpfer ist das hintere Rahmendreieck aus einem (Carbon-)Stück gefertigt. Um das Einfedern zu ermöglichen, muss aber dennoch eine gewisse Beweglichkeit möglich sein. In der Regel sieht man hier bei vielen Herstellern entweder einen Drehpunkt vor oder über der Hinterradachse. Felt verzichtet auf diesen Drehpunkt und realisiert diese Bewegung über den Flex des gesamten Bauteils. In der Vergangenheit nutzten sie dieses Prinzip ausschließlich bei kurzhubigeren Bikes. Die fortgeschrittene Carbontechnologie ermögliche aber nun auch die Einbindung in eine 140 mm Plattform, so die Ingenieure.
Was ist daran so besonders?
Der komplette Hinterbau ist bei diesem System vorgespannt. Sprich: man muss ihn manuell etwas zurück biegen, um überhaupt den Dämpfer montieren zu können. Alternativ kann auch der Druck aus dem Dämpfer abgelassen werden, um ihn etwas zu komprimieren. Lastfrei ist der Hinterbau an der Position, an der sich der Dämpfer später bei 30 % Negativfederweg befindet. Der Luftdruck im Federbein zwingt das Carbondreieck nach oben und so steht der volle Federweg zur Verfügung.
Grob ist dieses Prinzip der Vorspannung vergleichbar mit einer stärkeren Negativfeder im Dämpfer. Die Losbrechkraft wird geringer und die bei 30 % Sag gesetzte Spannungsfreiheit zieht den Hinterbau während der Fahrt im Gelände zusätzlich in diese Position, was für unter anderem für mehr Ruhe im Antritt, aber auch für besseres Ansprechverhalten auf kleinen Schlägen sorgen soll. Nebeneffekt sei aber auch die Möglichkeit eines leichteren Dämpfungstunes im Federbein und damit verbundene Vorteile von weniger Hitzeentwicklung, die sich so nicht negativ auf das Federverhalten auf langen Abfahrten auswirkt.
Video
FELT FAST Die Funktion kurz zusammengefasst 9e5d3e 0ced31 von Grinsekater – Mehr Mountainbike-Videos
Rahmendetails
Alle Züge befinden sich innerhalb des Rahmens. Hier wurden ziemlich alle Möglichkeiten an Komponenten bedacht: Sei es eine seitliche Anlenkung einer Remote-Sattelstütze oder via Stealth, eine Halterung für eine Di2 Batterie in der Verschlusskappe des Unterrohrs und unterschiedliche Einsätze für unterschiedlich dicke Kabel, um den Rahmen vor dem Eindringen von Feuchtigkeit und Schmutz zu schützen. Für Ruhe sollen die Einsätze sorgen, die ein Spannen der Kabel zwischen den Eingängen ermöglichen.
Wer einen Umwerfer fahren möchte, hat am Decree weiterhin die Möglichkeit dazu. Wer keinen benötigt, kann die komplette Aufnahme dafür abnehmen. In Zeiten von gedämpften Schaltwerken ist der Punkt von austauschbarem Kettenstrebenschutz zwar nicht mehr so brisant, aber trotzdem ist hier nichts geklebt und sollte das Gummi mal durch sein, kann einfach ein Ersatz bestellt werden.

Sehr zu begrüßen ist die Möglichkeit, ein reguläres BSA Innenlager zu montieren, zudem nimmt das Heck auch noch aktuelle 142x12er Achsbreiten auf.
Wer das Rad eher in Richtung Tour trimmen möchte, kann über einen Flipchip in an der oberen Umlenkung den Lenkwinkel von 67° auf 68° steiler machen. Dabei hebt sich das Tretlager ebenfalls um 10 mm.

Erster Testeindruck
Wir konnten das Decree auf den Trails am Gardasee probefahren. Diese waren gespickt mit losem Geröll, spitzen Felsen – und um alles etwas interessanter zu machen, regnete es konstant.
Bergauf
Bereits in der Präsentation wurde betont, dass ein Schwerpunkt auf die Pedalierbarkeit gelegt wurde. Der Einfluss vom Ur-Prototpyen – des Edict Cross Country Modells – ist definitiv noch spürbar. Das Decree marschierte auch ohne Lock-Out am Dämpfer bereitwillig vorwärts, ohne auch nur großartig eine Bewegung im Heck spürbar werden zu lassen. Selbst auf den Anstiegen über Beton, wo selbst geringes Zucken bemerkbar wird, war hier fast gänzlich Ruhe im Hinterbau. Wer komplettes Hardtail-Gefühl bevorzugt, erreicht dies über ein simples Umlegen des Hebels am Dämpfer.
Auf den primär sehr losen Untergründen bevorzugte ich allerdings einen offenen Dämpfer, um mehr Traktion zu generieren. Vom sehr rutschigen Untergrund abgesehen machte das Decree einen ziemlich guten Job dabei und lud dazu ein, auf Sekundenjagd zu gehen.
Angenehm hierbei ist die Absenkfunktion der Pike. Stellt man in der Regel, um bei langen Anstiegen Rückenschmerzen vorzubeugen, den Sattel mit der Spitze etwas mehr in Richtung Boden, um die Hüfte nach vorne zu kippen, so kippt bei der abgesenkten Gabel das gesamte Fahrrad nach vorne, was einen ähnlichen Effekt hat. Nicht in jedem Gelände – wie zum Beispiel in technischen Anstiegen – ist dies möglich, aber insbesondere auf den entspannten Anstiegen am Gardasee war dies eine willkommene Funktion.
Bergab
Wie würde sich das FAST System bergab schlagen? Kann das hintere, offene Rahmendreieck steif genug sein, ohne eine Verbindung zwischen Kettenstrebe und oberer Druckstrebe zu haben? Diese Fragen beschäftigten mich, bevor ich über den ersten groben Schotter die Abfahrt begann.
Was sich beim Uphill vor allem in Vortrieb und Sprintfreudigkeit geäußert hat, zeigte sich nun auch in der Bergab-Leistung. Dieses Rad ist wirklich steif! Die Linienwahl ist sehr präzise möglich und jeder Input wird sofort umgesetzt. Die Enve60 Felgen auf den Chris King Naben werden hier nicht ganz unbeteiligt sein, aber auch im Rahmen war sehr wenig Flex zwischen vorderem und hinterem Rahmendreieck zu spüren.
Der Lenkwinkel, welcher laut Felt durch Zufall bei 67 Grad gelandet ist, dürfte bei diesem Bike fast noch etwas flacher ausfallen, denn es ermöglicht ohne Aufwand eine ziemlich hohe Grundgeschwindigkeit. Wobei das Hinterrad dem Boden zwar gut folgt, aber durch das kurze Heck teilweise etwas nervös wurde, wenn es schnell und ruppig zur Sache ging. Aber hier sei gesagt, dass persönliche Vorlieben eine große Rolle spielen. Fährt man das Rad weniger am Limit, profitiert man von einer extrem leicht anhebbaren Front für verspieltes Fahren und einfaches Kurvenfahren bei niedrigeren Geschwindigkeiten.
Die Wirkung des FAST Hinterbaus ist auch im Gelände spürbar. Wie von einem Magnet geleitet, zieht sich das Heck in die Position um 30 % Sag. Springt man mit dem Rad und entlastet dabei zwangsläufig das Hinterrad, streckt sich der Dämpfer zwar zu vollem Hub, aber auch hier wird diese Bewegung gedämpft ausgeführt. Gerade mit Plattformpedalen war dies ein angenehmer Nebeneffekt, da man nicht durch einen ungedämpften Endanschlag, wie bei manchen Dämpfern/Hinterbauten, den Kontakt zur Standfläche verliert.
Schattenseiten
Etwas gewöhnungsbedürftig war der recht hohe Sitzdom des Rahmens, den ich in XL fuhr. Um bei einer Schrittlänge von 91cm entspannt pedalieren zu können, musste ich die Reverb nur wenige Zentimeter aus dem Rahmen ziehen. Von vielen Rahmen bin ich es gewohnt an einer 150 mm Reverb noch zusätzlich einen Schnellspanner zu nutzen, um vor einer technischen Abfahrt den Sattel ganz aus dem Weg zu bekommen. Hier war leider nicht viel drin und bei meiner Fahrweise (Oberkörper parallel zum Oberrohr) kam es in manchen Situationen zum Kontakt Hintern/Sattel. Je nach Fahrstil muss dieses Problem nicht immer auftreten und die kleineren Rahmengrößen verfügen allesamt über eine kompaktere Bauweise. Dennoch: Bitte, Felt – für die großen Leute – am XL würde es auch ein niedrigerer Sitzdom tun. Selbst noch bei einer Schrittlänge von 100 cm.
In Summe fühlte sich das XL mit einem Reach von 460 mm und einer Kettenstrebenlänge von 436 mm auf den Trails am Gardasee gar nicht mal so lang an. Fast hätte ich mir hier noch mal 2 Zentimeter mehr Oberrohr gewünscht, um mehr Druck auf das Vorderrad ausüben zu können. Ein breiterer Lenker wäre aber auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. 720 mm mag in Regionen mit engen Trails Sinn machen, aber auf einem XL Rahmen wird vermutlich auch ein größerer Fahrer unterwegs sein, der mit mehr Schulterbreite auch nach einem breiteren Lenker verlangt.
Bei den Anbauteilen des Topmodells lässt man sich bei Felt nicht lumpen (Wäre auch schlimm, wenn…). Hier gibt’s wenig zu beanstanden. In der Dual-Position Pike hätte ich mir bei einem längeren Test gerne mehr Tokens gewünscht (diese waren bei diesem kurzen Testzeitraum nicht verfügbar) und Schwalbe Nobby Nic in mittelharter Trailstar Mischung auf nassen Gardasee-Strecken trieben meinen Puls dann doch in ungeahnte Höhen.

Ausstattungsvarianten & Geometrie
S (16) | M (18) | L (20) | XL (22) | |
---|---|---|---|---|
Lenkwinkel | 67° | 67° | 67° | 67° |
Sitzwinkel | 73,2° | 73,2° | 73,2° | 73,2° |
Oberrohrlänge horizontal | 565 mm | 595 mm | 625 mm | 655 mm |
Steuerrohrlänge | 90 mm | 105 mm | 125 mm | 145 mm |
Sitzrohrlänge | 395 mm | 430 mm | 485 mm | 540 mm |
Tretlagerabsenkung | 12 mm | 12 mm | 12 mm | 12 mm |
Kettenstrebenlänge | 431 mm | 431 mm | 431 mm | 431 mm |
Radstand | 1107 mm | 1139 mm | 1171 mm | 1203 mm |
Überstandshöhe | 694 mm | 725 mm | 774 mm | 822 mm |
Reach | 391 mm | 417 mm | 441 mm | 465 mm |
Stack | 576 mm | 590 mm | 609 mm | 627 mm |
Felt Decree FRD
Felt Decree 1
Felt Decree 2
Felt Decree 3
Felt Decree 30
Preise und Verfügbarkeit
Decree FRD (UHD Ultimate – TeXtreme) – 9999,– €
Decree 1 (UHD Advanced – TeXtreme) – 4999,– €
Decree 2 (UHD Advanced – TeXtreme)(UHD Advanced – TeXtreme) – 4250,– €
Decree 3 (UHD Performance – DMC Inside/Out construction) – 3499,– €
Decree 30 (vorderes Rahmendreieck aus Aluminium, Hinterbau aus UHC Performance Carbon) – 2750,– €
Decree FRD Frameset (UHD Ultimate – TeXtreme) – 2999,– €
Decree 1 Frameset (UHD Advanced – TeXtreme) – 2450,– €
Verfügbarkeit: Ab Dezember 2015
Launch Videos von Felt
Felt Decree Launch Video von Grinsekater – Mehr Mountainbike-Videos
Ride 7665b3 9edb5f von Grinsekater – Mehr Mountainbike-Videos
TECH 37be4c 973c2b von Grinsekater – Mehr Mountainbike-Videos
Erstes Fazit von MTB-News
Kategorisierungen sind ja zumeist schwierig und nicht selten werden hier in den Kommentaren verschiedene Zuordnungen wie Trail oder Enduro schwer diskutiert. Felt steckt das Decree in die Kategorie „Trail“. Simpler und passender wäre “ein Mountainbike mit 140 mm Federweg am Heck und 150 mm an der Front“. Warum „Mountainbike“? Je nachdem, welche Ausstattung man wählt, kann man mit dem Rad einen sehr breiten Einsatzbereich abdecken. Auf den Trails am Gardasee zum Beispiel finden sich Hardtails bis hoch zu Freeridebikes und hier kann auch das Decree zu Hause sein – bei griffigerer Bereifung. Auf der anderen Seite pedaliert es sich so leicht und effizient, dass man auch in gemäßigtem Gelände lange Touren damit fahren könnte, ohne das Gefühl zu haben „übermotorisiert“ zu sein.
Der Preis der FRD Topversion ist mit 9999,– gegenüber der Decree 1 Ausstattung für 4999,– schwer zu rechtfertigen und wohl eher für Leute gedacht, bei denen Geld einfach keine Rolle spielt. Zu begrüßen sind die Optionen der günstigeren Carbonversionen oder auch die Aluminiumversion für 2750 €, welche zwar Abstriche in der Ausstattung macht, aber nicht zwangsläufig an Stellen die man nicht später durch Wunschkomponenten ersetzen könnte.
Weitere Informationen
Website: www.felt.de
Text & Redaktion: Jens Staudt | MTB-News.de 2015
Bilder: Jens Staudt, Felt
Der Beitrag Felt Decree im Test: 140 mm unter starker Spannung ist auf MTB-News.de erschienen.