“Sag mal, hab ich da etwas auf der Nase?” Die Frage an meinen Kollegen Dommaas ist ernst gemeint, scheine ich doch plötzlich der Mittelpunkt des Festivalgeschehens zu sein. Wo ich hinblicke, zeigt man mit dem Finger auf mich oder schaut mir nach. An meiner Nase liegt es jedoch nicht, eher an dem Gefährt, das sich knapp einen Meter unter ihr befindet: dem brandneuen Nicolai Fat Tire-Bike Argon FAT. Beim Roc d´Azur Festival nutzten wir die Gunst der Stunde und wagten uns erstmals mit richtig dicken Schlappen auf den Trail.
Fat Tire-Bikes scheinen besonders in Nordamerika einen lukrativen Absatzmarkt zu bieten – anders ist wohl nicht zu erklären, warum sich derzeit so viele Hersteller in diesem bisher eher von Exoten geprägten Segment etablieren möchten. Neben den altbekannten Fat-Bike-Schmieden wie Surly, Salsa oder Sandman versuchen neuerdings auch Firmen wie Specialized, Kona oder Norco ein Stück vom Kuchen zu erhaschen. Doch auch in Deutschland scheint die Industrie Blut geleckt zu haben: Mit dem Argon FAT präsentierte Nicolai auf der diesjährigen Eurobike ihre Interpretation eines echten Fat-Bikes. 3,8″-Reifen, Starrgabel und Singlespeed-Riemenantrieb.
Weder Kollege Thomas “Dommaas” Fritsch noch ich waren bis zum Roc d´Azur je auf einem solchen Bike gesessen. Umso mehr interessierte es uns, was die derzeit so gehypten Bikes wirklich auf dem Kasten haben.
# Neu für 2014: Nicolai steigt mit dem “Argon FAT” in den Fat-Bike-Markt ein. 13,2 kg brachte unser Testbike mit Pedalen auf die Waage.
Der erste Eindruck
Ob sich Karl Drais bei seiner revolutionären Jungfernfahrt mit der Draisine durch Mannheim im Jahre 1817 wohl auch fühlte wie das sprichwörtliche sprechende Pferd? Schon auf dem Weg vom Festivalgelände ins Freie ist das Nicolai der Blickfang schlechthin. In der Kategorie “Aufsehen erregen” können wir dem Argon Fat demnach die volle Punktzahl geben. Aber Aufmerksamkeit kann doch nicht alles sein – was soll man mit so einem Fat Bike denn eigentlich anstellen?
In manchen Gegenden dieser Erde ist an ein Vorankommen mit herkömmlichen Mountainbikes nicht zu denken. Ob auf Schnee oder Sand, die voluminösen Reifen sollen das Fat-Tire-Bike nach dem „Schneeschuh-Pinzip“ an der Oberfläche halten. Dass diese sehr speziellen Bikes für diesen sehr speziellen Einsatz wohl die beste Wahl sind, steht außer Frage, doch kann man auch in hiesigen Gefilden mit einem Fat Bike Spaß haben? Oder ist das Fat Tire-Bike am Ende doch gar das bessere Mountainbike? Das Bike lässt also auch nach dem Erstkontakt noch Fragen offen.
Alles eine Frage der Einstellung – so zumindest bei “normalen” Mountainbikes. Doch was sollen wir am Argon FAT großartig einstellen? Weder gibt es eine Schaltung noch weist das Bike eine Federgabel oder gar einen Dämpfer auf. Wie praktisch! Zwei Dinge sind jedoch schon zu beachten und beide auf ihre Weise von höchster Wichtigkeit. Das ist zum einen die Lenkzentrale, die wie immer auf die individuellen Vorlieben des Fahrers angepasst werden muss. Zum anderen der Reifendruck. Passt der Reifendruck in den 3,8“ großen Reifen nicht, so hat der Spaß schnell ein Ende. Was bei uns aufgrund fehlender Erfahrung prompt der Fall war.
# Aufmerksamkeit garantiert: Wer mit dem Fat Bike unterwegs ist muss sich auf Blicke aller Art gefasst machen.
In Bewegung
Holy shit – wie geil fährt sich das denn!
Mit einem Bar Luftdruck beginnen wir unsere Ausfahrt. “Holy shit – wie geil fährt sich das denn!”, rufe ich Dommaas mit einem breiten Grinsen zu. Verspielt und agil lässt sich das 13,2 kg schwere Bike über den mit Wellen und Anliegern durchsetzten Trail am Rand des Festivalgeländes manövrieren. Der Trail-Abschnitt ist jedoch nur kurz und bringt uns hinaus auf die Straße, welche vom Festivalgelände zu den Trails im Hinterland führt.
Bei konstanter Fahrweise verlangt das Argon FAT mit Singlespeed-Antrieb eine hohe Trittfrequenz, um mit den anderen, auf “normalen” Mountainbikes sitzenden, Bikern mithalten zu können. An diesem Punkt kommen wir auf unsere eingangs erwähnte mangelnde Erfahrung mit Fat Tire-Bikes zurück. Bei einem Bar Luftdruck spiegelt sich meine Trittfrequenz schnell als Schwingungsfrequenz in den Reifen wider. Meine Fähigkeiten reichen nicht aus, um die hohe Frequenz mit einem gleichmäßig runden Tritt zu kombinieren. Das Ergebnis: Das Rad schaukelt sich zunehmend auf. Wie ein Gummiball federn die dicken Reifen umgedämpft auf und ab. Sehr nervig und auf Dauer unangenehm – denn schnell schmerzt dadurch der Hintern.
# 3,8″ breite Surly Nate Reifen waren auf unserem Test-Bike montiert. 1 Bar Luftdruck erwies sich als zu viel.
“Du trittst ja auch wie so ein Elefant in die Pedale!” amüsiert sich Dommaas neben mir. “Dann soll es der feine Herr XC-Fahrer doch erst mal besser machen” entgegne ich ihm und drücke ihm das Rad in die Hände. Siehe da – mit einem runden Tritt ist alles nur noch halb so wild. Doch lange hält auch Dommaas nicht durch und verfällt bei unserer flotten Fahrweise bald wieder ab vom gleichmäßigen Tritt. Eine Lösung muss her: “Nun ja – evtl. sind wir die Reifen ja einfach noch mit zu viel Luft gefahren.” Wir lassen ein weiteres halbes Bar ab und setzten die Tour mit 0,5 Bar fort. So ist es schon deutlich entspannter – doch vollkommen eliminiert ist das Wippen noch nicht. Abhilfe würde vor allem eine Schaltung und die damit einhergehende niedrigere Trittfrequenzen schaffen.
Wir erreichen den Trail – endlich. Die nächsten 300 Höhenmeter müssen ohnehin erst einmal im Stehen bewältigt werden. Die Übersetzung ist einfach zu groß – im Sitzen kommen wir die teils steilen Auffahrten nicht hoch. Nicht weiter schlimm, denn im Stehen fährt sich das Rad auf den steilen Trail-Uphills durchaus angenehm. Bedenkenlos tritt Dommaas in die Pedale, mit großem Vertrauen in die dicken Reifen, die auch bei höchstem Krafteinfluss keinen Schlupf bekommen. Erstaunlicherweise weisen die Reifen keinen sonderlich größeren Rollwiderstand auf und lediglich beim Beschleunigen merkt man die größere Masse, im Vergleich zu Standard MTB-Reifen.
Auf losem Untergrund und steilen Rampen greift der Reifen voll zu und verwandelt die eingespeiste Kraft mit bester Traktion in Vortrieb. Auf Dauer wird dieses Unterfangen jedoch mächtig anstrengend und so sind wir froh, dass wir uns bei der Auffahrt abwechseln können.
# In XC-Manier unterzieht Thomas “Dommaas” Fritsch das Argon FAT dem Traktionstest.
Wir folgen der Roc Marathon-Strecke, die uns über einen schnellen breiten Trail in Richtung Tal führt. “Jetzt zeig mal was du kannst!”, fordert mich Dommaas heraus und stellt mir das Bike vor die Füße. Auf den ersten Metern des bis dahin sehr einfachen Trails erfreue ich mich noch am ungewohnten Fahrgefühl. Die Reifen schlucken kleine Unebenheiten gut weg und bieten in Kurven massig Grip. Es ist fast schon beängstigend wie schnell sich Kurven plötzlich fahren lassen. Doch leider hält das nicht lange an.
Der Trail wird zunehmend ruppiger und an den Bremspunkten vor Kurven und anderen Schlüsselstellen befinden sich nun waschbrettartige Bremswellen. Spätestens jetzt vergeht mir der Spaß auf dem Fat-Bike. Der ballonartige Aufbau der Reifen lässt das Bike auf den Bremswellen ungedämpft hin und her springen. Traktion und Bodenkontakt: Fehlanzeige. Es wird richtig brenzlig, denn das Rad schaukelt sich so sehr auf, dass beim Bremsen kaum noch Verzögerung zum Angriff kommt. Ich muss Geschwindigkeit raus nehmen. Um es bergab laufen zu lassen, ist dieses Rad nicht gebaut worden.
# Auf schnellen Streckenabschnitten mit Single Trail typischen Hindernissen vermitteltet das Fat-Bike kaum Sicherheit. Ganz im Gegenteil zu langsamen Passagen – hier konnte das Bike überzeugen.
Der Trail ist abwechslungsreich und führt uns auf der zweiten Hälfte in langsamere, recht steile und sehr sandige Passagen. Siehe da – es scheint, als hätten wir das angestammte Revier dieses Bikes gefunden. Bei langsamer Fahrweise erfreue ich mich an der präzisen Manövrierbarkeit und am direkten Fahrgefühl. Ich spüre genau was unter mir passiert und kann das Bike auch bei starkem Gefälle im rutschigen Sand sicher handhaben. ”Platz da, ich komme!” Mit zunehmendem Gefälle steigt auch die Anzahl anderer Biker, die ihr Rad am Streckenrad hinab schieben und mit großen Augen ungläubig dem wie auf Schienen vorbeifahrenden Nicolai hinterher blicken.
Das Fahrgefühl in technischen Passagen ist bei angemessen langsamer Fahrweise mit herkömmlichen Mountainbikes kaum zu vergleichen. In der Tat lässt es sich fast am besten mit einem überdimensionalen Trial-Bike vergleichen. Man hat stets Kontrolle durch massig Grip, arbeitet sich spielerisch durchs Gelände und kann sich an Sektionen versuchen, die man mit einem herkömmlichen Mountainbike nur auf die “Do it fast or die”-Art lösen könnte.
Gerne hätten wir das Argon FAT einmal auf steilen verblockten Trails in den Alpen ausprobiert, denn dort, wo Technik vor Geschwindigkeit geht, könnte ein Fat-Bike wie das Nicolai Argon FAT durchaus Spaß machen.
# Der Gesichtsausdruck unseres Tests-Dommaas verrät es: schnelle Trails sind nicht das richtige Revier für ein Fat-Bike wie beispielsweise das Nicolai Argon FAT.
# Traktion und Vortrieb bergauf: Aufgrund des Single Speed-Antriebs waren Anstiege kein Zuckerschlecken, doch die Traktion des Hinterrads brachte die eingespeiste Kraft bestens auf den Boden.
# Aufgrund der Übersetzung mussten Auffahrten meist im Stehen bewältigt werden.
# Im Sand fühlt es sich wohl: Je weicher der Untergrund, umso größer die Vorzüge eines Fat-Tire-Bikes. Auch im Schlamm dürfte ein solches Konzept zu überzeugen wissen.
Unser Resümee
Auf Sand und Schnee gibt es wohl nichts besseres als ein Fat Tire-Bike. Diese Bedingungen sind in Mitteleuropa jedoch nicht gerade ausschlaggebend bei der Wahl des Mountainbikes – wer schnell vorankommen möchte, greift besser zum XC-Bike und wer es bergab laufen lassen möchte ist, mit einem Fully besser bedient. Abseits der genannten Einsatzbereiche Schnee und Sand macht ein Fat Tire-Bike wie das Argon FAT mit Starrgabel und Single-Speed-Antrieb besonders in technischen Sektionen Spaß, da es sich wie eine Mischung aus All Mountain-Hardtail und Trial-Bike fährt. Wer auf Geschwindigkeit keinen Wert legt und Spaß an technischen Herausforderungen hat, der könnte Gefallen an so einem Fat-Tire-Bike finden.
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Nicolai Argon FAT – Übersicht
Besonderheiten:
- Alu-Rahmen aus dem Hause Nicolai: Handmade in Germany
- bis 4″ Reifengröße
- 26″-Laufräder
- kompatibel mit Gates Carbon-Drive // Single-Speed
- 2,3 kg Rahmengewicht
- auf 60 Stück limitiert
- 3 Größen: S, M, L [XL auf Anfrage]
- Preis: 1.350 Euro für den Rahmen
Geometrie:
- Reach: 417 mmm [bei Gr. Medium]
- Sitzrohrlänge: 450 mm [bei Gr. Medium]
- Oberrohrlänge: 610 mm [bei Gr. Medium]
- Hinterbaulänge: 440 mm – 464 mm
- Tretlagerhöhe: -55 mm [Abstand zur Achse]
- Tretlagerbreite: 100 mm
- Hinterradbreite: 170×10 mm QR
- Lenkwinkel: 67,5°
- Sitzwinkel: 72°
Im Detail
# Nicolai Argon FAT 2014: 13,2 kg Gesamtgewicht mit White Brothers Carbon-Starrgabel, Answer Carbon-Lenker und Gates Carbon-Drive Singlespeed-Antrieb.
# Der Gate Carbon-Drive wurde mit einer SRAM x.9-Kurbel kombiniert. Riemen und Kettenblatt werden von einem “Taco” geschützt.
# Schön zu erkennen: Die SRAM-Kurbel mit Gates-Kettenblatt und “Taco”.
# Kein Schaltwerk und keine Kassette: An diesem Aufbau kann nicht nur wenig kaputt gehen. Auch hat man ein sehr leichtes Heck, was die Wendigkeit begünstigt.
# Verstellbare Ausfallenden zur perfekten Montage eines Singlespeed-Antriebs.
# Am Hinterbau ist eine Reifenfreiheit bis zu 4″ gewährleistet.
# Typisch Nicolai: Made In Germany
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Test, Redaktion & Bilder: Thomas Fritsch und Maxi Dickerhoff
Der Beitrag Nicolai Argon FAT: Platz da, ich komme! [Fahreindruck - Fat Tire Bike] ist auf MTB-News.de erschienen.